VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
bestimmt denkt niemand an so etwas, aber allein die Möglichkeit ist zu schrecklich. Er musste kurz an Will denken, einen sehr jungen Will, und das Bild wirkte auf ihn wie eine Ohrfeige. »In Ordnung«, sagte der Arzt zu der Goldenen, »die Bewohner des Planeten Vilm bitten Sie um Unterstützung. Machen Sie der Bedrohung ein Ende.«
»Was tun Sie da?«, rief die Päpstin, während die Goldene ihrerseits die Implantate in Betrieb setzte. Sie war sorgsam in Reichweite einer roten Linie geblieben, und wenn es Leute gab, die jegliche Navigation in den Datenräumen der Netze perfekt beherrschten, dann waren es die Goldenen, denen man bereits am ersten Tag ihres Lebens Anschlüsse in die Nerven stach und denen man Software ins Hirn lud, ehe sie ihren ersten eigenen Gedanken gefasst hatten. Die Päpstin protestierte, doch ohne Zuhörer. Sie warnte vor Abhängigkeit, Ausbeutung und etwas, das sie den niederschmetternden Kolonialismus der Bruderschaft nannte. Zwar sagte die Dame vom Planeten Vatikan noch eine Menge anderer Sachen, Mechin jedoch hatte nur Augen für den General und seine bewaffneten Männer, die jetzt durcheinanderquirlten und sehr geschäftig taten. Kurze Befehlsworte flogen hin und her, die aus lauter codierten Begriffen bestanden. Das Kauderwelsch musste eine Bedeutung haben, denn der Mann vom epsilonischen Institut japste und schrak zurück, als habe ihn jemand in den Magen geboxt. Das war das Signal zum Schusswaffengebrauch, erkannte Mechin entsetzt, und in diesem Augenblick aktivierten unten in der Schleuse die beiden Soldaten ihre Waffen und eröffneten ohne Warnung das Feuer. Sdevan oben auf dem Turm glaubte seinen Augen nicht. Alle im Landungsschiff konnten es sehen, direkt und in Echtzeit. Tina hatte nicht die Spur einer Chance, nicht gegen die geschmeidigen Reaktionen von Auswahlsoldaten. Alle auf der Armorica konnten es sehen, direkt und in Echtzeit, und auch die Herzkönig bekam eine Live-Übertragung, direkt und in Echtzeit.
Die Entladungen trafen die Frau gleichzeitig und mit einer brutalen Wucht, die ihre Bekleidung trotz der Nässe aufflammen ließ. Alle auf Atibon Legba konnten es sehen, direkt und in Echtzeit. Tinas blutiger brennender Körper wurde auf den Platz vor das Landungsschiff und gegen die Vilm-Flagge geschleudert, da war sie bereits tot. Alle Vilmer konnten es sehen. Die Chefin der Vilmregierung war von dem Schock umgebracht worden, den das Auftreffen der Waffenladungen verursacht hatte. Knochenbrüche, Verbrennungen und Wunden wurden ihrem bereits toten Körper zugefügt. Ihre klein und armselig wirkende Gestalt lag verkrümmt und geschwärzt vor dem riesigen Flaggentuch, geschundenes Fleisch. Der Regen löschte die Flammen, die über den Stoff ihrer Kleidung tanzten. Die beiden Soldaten hielten ihre Waffen weiterhin auf Tinas leblosen Leib gerichtet, während sie in raubtierhaften, gleitenden Sprüngen aus der Luke setzten und den Platz sicherten; den Tatort, dachte Mechin, der wie alle anderen das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgt hatte. Sdevan starrte auf den Platz und war außerstande, sich zu bewegen; das Entsetzen, das von seinem Eingesicht ausging, überwältigte ihn. Es gab keine Droge in dem unübersehbaren Arsenal der Vilmkinder, die ihm einen klaren Gedanken oder eine Geste ermöglicht hätte. Tina war tot. Auch im Landungsschiff griff Chaos um sich. Die Galdani wurde ohnmächtig, und der Karnese brüllte wie ein Tier und wollte sich auf die Militärs stürzen. Es waren fünfzehn Leute notwendig, um den General vor dem Riesen zu schützen. Die Blicke des Mannes vom epsilonischen Institut glühten, als hätte er den General am liebsten in Streifen geschnitten. Der Hzn-Bevollmächtigte beugte sich zur Seite und kotzte hinter eines der teuren Sofas. Mechin drehte sich zu der Dame von der Goldenen Bruderschaft um und wollte fragen, besser schreien, wo die Unterstützung sei, wollte sie packen und schütteln, bis ihre verdammten Implantate wie lockere Bauteile aus ihrem Körper herausklapperten. Aber seine Wut prallte an den unbeteiligten Augen der Frau ebenso ab wie seine Fäuste an dem kaum sichtbaren Stoff ihrer Quasi-Bekleidung. Das Zeug wurde unter dem Schlag in Blitzesschnelle steinhart. Mechins Augen füllten sich mit Tränen. Zum Teil war es der Schmerz in seinen lädierten Händen ... nur zum Teil. Er taumelte und lehnte sich mit der Schulter an die Wand.
»Die Transaktion«, sagte die Goldene und löste ihre Hand von der roten Linie, »ist erfolgreich
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