VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
aller Entschiedenheit, dass niemals ein Angehöriger der Auswahl den Boden Vilms betreten habe; er könne nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob diese Elitetruppe überhaupt noch existiere. Erst nachdem mehrere Shuttles der Armorica nach Atibon Legba und zurück geflogen waren, durfte man die beiden Menschen, die auf Tina gefeuert hatten, als Mörder bezeichnen. Als Tage später am Ende eines längeren diplomatischen Verhandlungsmarathons zugesichert wurde, die Mörder an die Vilmregierung auszuliefern, waren die beiden nicht auffindbar. Da bekam die Päpstin zwar einen Wutanfall, das nützte allerdings ebenso wenig wie die neuerliche Intervention der nackten goldenen Frau. Das Flottenkommando entschuldigte sich wortreich für den Zwischenfall. Versehentlich war die betreffende Einheit, im Rahmen der Veränderungen rund um Vilm, nach Atibon Legba zurückverlegt worden. Und wieder im Einsatz, irgendwo im Kosmos. Vilm fragte immer wieder nach und erhielt nach einigen Wochen die Nachricht, dass die Mörder Tinas bei einem anderen Einsatz ums Leben gekommen waren. Natürlich hatte es sich nicht um einen Auswahl-Einsatz gehandelt. Und nein, das Raumfahrzeug war völlig verglüht. Es gab keine Überreste, die man untersuchen konnte.
9. Hoher Ort
»Früher soll Vilm Village ein richtiges Kaff gewesen sein«, sagte der glatzköpfige Typ und ließ sich schwer in einen Sessel des Restaurants Fast-in-den-Wolken fallen, »heute ist es zwar größer, indes immer noch ein Kaff.« Der Mann hatte eine Körpergröße von deutlich über zwei Metern. Er strahlte Marja an, als werde er dafür fürstlich bezahlt. Trotz seiner Länge war er weit davon entfernt, hager zu sein. Im Gegenteil, reichlich vorhandene Rundungen bewiesen eine beständige Liebe zu allem Essbaren. Er streckte Marja eine riesige fleischige Hand hin: »Ich bin Konstantin Kadoupoulos, du kannst Konnie zu mir sagen.« Marja sah die Hand des Mannes zwar an, aber ergriff sie nicht. Der Glatzköpfige bemerkte das nicht; oder er wollte es nicht bemerken, er redete unbekümmert weiter. Der Stuhl ächzte unter ihm. »Ich weiß das, ich habe alles gelesen, was es über Vilm zu lesen gibt, na ja, fast alles, und alle Bilder angeschaut. Sogar die Kevin-Reportagen habe ich mir angeguckt, obwohl die ja etwas merkwürdig sind.« Er wies aus dem riesigen Panoramafenster, das einen wolkenfetzenverschleierten Blick auf die Ebene voller Gestrolche bot, und in der Ferne auf die undeutlichen Umrisse des Gebirges. Unten lagen die Straßen und Plätze von Vilm Village, an deren Anordnung allen Besuchern die Ursprünge der Stadt erklärt wurden. Das Fast-in-den-Wolken, das annähernd dreihundert Meter hoch an den Spitzen dreier schlanker Stahlmaste hing, war das mit Abstand höchste Gebäude des gesamten Planeten. »Die Aussicht von hier ist echt die Krone, das heißt, sie wäre es«, sagte Konstantin unbekümmert, »wenn ihr euer Wetter besser in den Griff bekommen könntet. Ist ja furchtbar. Andererseits stimmt auf diese Art der Name des Hauses immer. Fast-in-den-Wolken, hübscher Name übrigens, wenn auch kein Mensch annimmt, dass er so verflixt wörtlich zu nehmen ist.« Er unterbrach sich und bemerkte das Eingesicht, das neben Marja auf dem Boden saß und ihn aus großen Augen anstarrte. »Das muss dein Hund sein, oder? Dein persönlicher, sozusagen angetrauter einheimischer Hund. Ich weiß doch, ihr habt alle euer persönliches Schoßtier. Finde ich toll. Toller Hund.«
Das Eingesicht blickte Konnie mit dem Ausdruck eines Insektenforschers an, der eine groteske Käferart unter der Lupe hatte. Außerordentliche Färbung, entzückendes Muster, gleichwohl nichts weiter als Ungeziefer. Hätte Konstantin sich mit Eingesichtern ausgekannt, wäre er tödlich beleidigt gewesen. Marja wollte dem glatzköpfigen Riesenkerl die Unterschiede zwischen irdischen Hunden und vilmschen Eingesichtern auseinandersetzen, als Konnie wieder aufsprang. Zwei Neuankömmlinge waren eingetreten, und Konstantin stellte sie als den Rest der Familie Kadoupoulos vor, Franka und Martino. Martino war ein dunkelhäutiger, schmaler, durchtrainierter Mann, deutlich älter als Konnie. Franka war eine blonde füllige Dame in weiten Schlabberkleidern, mit zu viel teurer Schminke im runden Gesicht und einer Unzahl von Tüchern um den Hals. Marja sah verdutzt von einem zum anderen und versuchte herauszubekommen, wer hier wessen Kind oder Vater war, diese drei jedoch ähnelten einander kein bisschen. Sie fragte danach, und
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