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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Trigiani
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ich wusste ja, dass ich am Ende in einer Großstadt ankommen würde.
    Während ich zum ersten Mal die Chicagoer Luft einatme, die kalt ist und nach Abgasen riecht, fällt mir wieder ein, was ich in Brooklyn zurückgelassen habe: Sirenen, Autolärm und Menschenmassen. Es ist so ruhig in South Bend, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie man diesen Lärm ausblendet, weil das in einer Kleinstadt, in der abends die Bürgersteige hochgeklappt werden, nicht nötig ist. Das einzige Geräusch, das man in South Bend hört, ist ab und zu eine Feuerwehrsirene in der Ferne oder die Marschkapelle der Universität von Notre Dame, wenn sie draußen ihre Übungen macht. Diesen Großstadtlärm habe ich echt vermisst.
    Chicago ist eine riesige Stadt, die sich über viele Kilometer hinweg ausdehnt, mit einem großen See in der Mitte, während New York sich auf einer kleinen Insel zusammendrängt. In Chicago gibt es zwar auch Wolkenkratzer wie in New York, aber insgesamt ist hier viel mehr Platz am Boden. Es gibt breite Straßen und Bürgersteige. Und kein Kopfsteinpflaster.
    Der Himmel über Chicago ist ganz weit. Zu Hause freuen wir uns über den kleinsten Streifen Himmel. Manchmal ist eine Wolke, die an dem kleinen blauen Tuch zwischen zwei Gebäuden vorüberzieht, das Einzige, was man vom größeren Universum mitbekommt.
    »Crepes!«
    Suzanne dreht sich um. »Kevin!« Sie winkt. »Hier drüben!«
    Einer von Suzannes Brüdern, Kevin, steht auf der anderen Straßenseite an der Fahrertür eines alten Kombis. Er hat stufig geschnittene hellbraune Haare und blaue Augen. In echt sieht er noch besser aus als auf dem Foto auf Suzannes Schreibtisch.
    Suzanne führt uns über den Mittelstreifen. Kevin nimmt ihre Reisetasche und meine und trägt sie zum Kofferraum desAutos. Romy steht da wie erstarrt, bis Kevin sie anlächelt und ihr die Tasche aus der Hand nimmt, um sie ebenfalls in den Kofferraum zu packen. Marisol stopft ihre zuoberst hinein. »Rein mit euch, Mädels. Ich stehe im Halteverbot.«
    Wir drängen uns ins Auto. Kevin und Suzanne steigen vorne ein, Romy, Marisol und ich klettern auf den Rücksitz. Im Fahrerspiegel sehe ich, dass Kevin ein nettes Lächeln und einen leichten Überbiss hat, der zum Teil korrigiert wurde. Er sieht extrem gut aus und hat die gleiche hohe Stirn und ein ebenso markantes Kinn wie Suzanne.
    »Das ist Kevin«, sagt Suzanne und umarmt ihren Bruder ganz fest. »Er ist mein Lieblingsbruder.«
    »Aber nur solange Joe sie nicht abholt.«
    »Heißt so dein anderer Bruder?«, meldet sich Romy.
    »Ja. Aber der hier ist der Wichtigere, zumindest bis ich meinen Führerschein habe.«
    »Ich bring dir das Fahren ganz bestimmt nicht bei, Crepes«, sagt Kevin mit einem Augenzwinkern.
    »Warum nennst du sie Crepes?«, fragt Romy. Ich glaube, Suzannes Spitzname ist ihr eigentlich ganz egal; sie möchte einfach das Gespräch mit Kevin in Gang halten.
    »Wegen Suzette. Crepes Suzette. Weil sie so süß ist«, sagt Kevin.
    »Oh, mir wird schlecht«, witzle ich.
    Die Fahrt nach Lake Forest dauert nicht lange, da Kevin die Nebenstraßen kennt und weiß, wie man die Staus umfährt. Er hat das Radio angeschaltet und stellt hin und wieder den Ton leiser, um etwas zu seiner Schwester zu sagen.
    Wir sehen nur seinen Hinterkopf und manchmal seine blauen Augen im Rückspiegel, aber das reicht völlig aus. Romy istbereits bis über beide Ohren in Kevin verknallt. Immer wieder trägt sie pinkfarbenen Lipgloss auf, bis die Schicht so dick ist, dass ich mich zu ihr hinüberlehne und flüstere: »Das reicht. Du siehst toll aus.« Romy ist von einer dieser Liebe-auf-den-ersten-Blick-Schwärmereien erwischt worden, die fast fünfzehnjährige Mädchen ausschließlich bei älteren Jungs bekommen. Es ist, als hätte man ihr mit dem Gummihammer eins übergezogen, mit dem wir in Ernährungslehre die Hühnerfilets platt hämmern.
    Romy beugt sich vom Rücksitz aus vor und stellt Kevin eine Million Fragen über das College. Ich glaube, es gefällt ihr, wenn ihr Gesicht dicht bei seinem ist und sie sich neben ihm im Rückspiegel sieht. Ihre Fragen sind durchaus intelligent, und Kevin macht es nichts aus, sie zu beantworten. Es stellt sich heraus, dass er Erstsemester an der Marquette Universität ist und Hockey spielt. Mit einem Teilstipendium. Von da ab wenden Romy und er sich dem Sport zu und driften in ein Gespräch ab, das ausschließlich sportbegeisterte Menschen interessant finden würden.
    In einer hübschen, von Bäumen gesäumten Straße

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