Violas bewegtes Leben
tippe:
Ich: Dann haben wir ein Date.
Suzanne steht hinter mir. »Unglaublich. Dieser Chat ging ja ewig.«
»Ich weiß.«
»Er mag dich wirklich«, sagt Suzanne. »Großartig.«
»Glaubst du?«
»Ich würde sagen, es läuft alles nach Plan.« Suzanne schiebt ihr Haar zurück unter das Haarband, und es umrahmt golden ihr Gesicht.
»Was denn?« Ich sterbe fast vor Neugier.
»Na ja, dein erster richtiger Freund«, sagt Suzanne achselzuckend. »Ich meine, du hast zwar Andrew zu Hause, aber das ist ja platonisch.«
»Genau.«
»Und dieser Junge aus deiner alten Schule, dieser Tag, das ist reine Fantasie, stimmt’s?«
»Vermutlich.« Ich gebe es nur ungern zu, aber Suzanne hat recht. Nur wenn in Brooklyn eine Pest rumginge und alle Mädchen in die Vorstädte ziehen müssten und ich als Einzige noch übrig wäre, nur dann hätte ich eine realistische Chance bei TN. Das ist nicht weiter schlimm, es ist nur zufällig die Wahrheit.
»Dann ist das mit Jared doch perfekt.« Suzanne streckt sich auf ihrem Bett aus. »Und es macht das Leben auf alle Fälle viel interessanter, findest du nicht?«
Ich lächle. Es ist wirklich perfekt. Jared ist perfekt für mich. So habe ich es noch gar nicht gesehen, aber es stimmt. Perfekter geht’s nicht.
Marisol und Romy kommen herein, die Mathebücher in der Hand. Die blauen Strähnen in Romys Haar sind herausgewachsen, seit wir hier sind, und sehen nun aus wie zwei Federn. Ihre Haare wachsen offenbar schneller als bei der durchschnittlichen Bevölkerung und in jedem Fall deutlich schneller als meine.
»Was für ein Tag.« Marisol lässt sich auf ihr Bett plumpsen.
»Liegt es an mir oder wird der Unterricht allmählich so schwierig, dass man Madame Curie sein muss, um die Klausuren zu bestehen?« Romy packt ihre Büchertasche aus.
»Ihr Mädels braucht eine Pause«, sagt Suzanne. »Hört mal, ich habe meine Mutter gefragt, ob ich euch an Thanksgiving zu uns einladen kann. Sie sagte, ich soll euch alle mitbringen!«
»Ehrlich?« Romy reißt die Augen auf. »Sind deine süßen College-Brüder auch da?«
»Logisch.«
»Oh, dann komme ich auf jeden Fall mit.« Romy lacht.
»Vielen Dank. Ich komme auch sehr gerne«, sagt Marisol. »Meine Eltern können es sich unmöglich leisten, mir an Thanksgiving und an Weihnachten die Heimreise zu bezahlen.«
»Ich weiß.« Suzanne lächelt. »Aber nicht dass du denkst, wir würden deine Telefongespräche belauschen oder so.«
»Ich komme auch gerne mit«, sage ich zu Suzanne. »Die Schule bleibt an diesem Wochenende zwar geöffnet, aber wir müssten jeden Vormittag mit Mrs. Zidar wandern gehen. Und ein Feiertagsessen mit Putenformfleisch in der Mensa würde ich nicht überleben.«
»Prima. Ich sag meiner Mutter Bescheid. Wir fahren mit dem Zug nach Chicago.«
Meine Termine bei Mrs. Zidar sind langsam ganz schön lästig. Ich habe eigentlich überhaupt keine Zeit, bei ihr herumzusitzen und über die Ursachen meiner Schlaflosigkeit zu spekulieren, wenn ich die Halbjahresklausuren in Bio, Gartenbau und Englisch vor mir habe, die jeweils dreißig Prozent zur Endnotezählen. Mir fällt schon gar nicht mehr auf, wie ich schlafe – oder nicht schlafe –, weil ich so viel zu tun habe.
»Ich habe das Gefühl, du wirst ein bisschen ungeduldig, was unsere Treffen angeht«, sagt Mrs. Zidar.
Ach, wirklich? Wie kommen Sie darauf?, würde ich gerne antworten, doch stattdessen sage ich: »Nein, ich habe nur gerade sehr viel um die Ohren.« Ich brenne darauf, unsere Sitzungen mit einem detaillierten Bericht über die Party, meine drei Küsse und meinen kometenhaften Aufstieg in der sozialen Rangordnung der PA zu würzen. Aber das wäre viel zu privat.
»Wir könnten unsere Sitzungen bis nach Thanksgiving aussetzen«, bietet sie an.
»Großartig!« Ich springe so schnell von meinem Stuhl auf, dass Mrs. Zidar mich verblüfft ansieht.
»Na, das war ja einfach«, sagt sie. »Wie verbringst du das Feiertagswochenende?«
»Ich fahre gemeinsam mit meinen Mitbewohnerinnen nach Chicago, zu Suzanne Santry nach Hause.«
»Wie schön!«
»Schade, dass ich Ihre Wanderungen verpasse«, sage ich zu ihr. »Aber den Formfleisch-Braten werde ich sicher nicht vermissen.«
Mrs. Zidar bemüht sich, nicht zu lachen.
Romy, Marisol, Suzanne und ich stehen endlich auf dem Bahnsteig in der Union Station in Chicago, nachdem der Zug zwischen South Bend und hier etwa eine Million Mal gehalten hat. Mich haben die vielen Haltestellen nicht gestört, denn
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