Violas bewegtes Leben
dann ist sie in der Prefect Academy und versucht, mir etwas zu sagen. Aber was?
Nun wünschte ich, Marisol wäre bei mir. Oder Romy. Oder Suzanne. Oder sogar Mrs. Santry, die ich eben erstkennengelernt habe, die aber so mitfühlend wirkt. Das ist absolut nicht der richtige Zeitpunkt, um alleine zu sein. Meine Hände fangen an zu zittern.
Ich schaue zu May. Der Ausdruck in ihren Augen tröstet mich. Ich suche die Menge ab, die sich langsam durch die Ausstellung schiebt, aber ich sehe sie nicht. Niemand in Rot. Niemand mit einem Hut. Niemand mit diesen coolen Schuhen. Und ganz sicher niemand mit einer Zigarette. Ein Paar bleibt stehen und liest Mays Biografie auf dem Aufsteller.
May anzuschauen ist wie die Fotos zu betrachten, die bei meinen Mitbewohnerinnen und mir auf dem Schreibtisch stehen, von Leuten, die wir kennen und lieben und vermissen. Allein schon sie so direkt zu betrachten, stellt eine Verbindung her.
Vielleicht ist es das, was Mrs. Zidar meinte. Vielleicht kommt mir May deswegen so real vor, weil ich sie brauche. Schließlich hat sie in Filmen gespielt, und ich mache Filme. Es erinnert mich an die »symbiotische« Beziehung, von der uns Dr. Fandu in Gartenbau erzählt hat. Wie man weiß, entsteht aus einer symbiotischen Beziehung immer etwas Neues. Ich muss nur herausfinden, was das sein könnte.
ACHT
Romy, Suzanne und Marisol essen Kuchen im Museumscafé, als wäre nichts passiert. Ich renne zu ihrem Tisch. Romy schaut zu mir auf.
»Was ist los?«, fragt sie.
»Mädels. Ihr müsst mitkommen. Sofort.«
»Warum?« Marisol schaut mich besorgt an, isst aber weiter ihren Kuchen.
»Ich möchte euch etwas erzählen, aber ich habe Angst, ihr denkt, ich bin verrückt.«
»Um was geht es denn?« Suzanne kippt Süßstoff in ihren Eistee, als wäre alles völlig normal.
»Am ersten Schultag habe ich für mein Videotagebuch die Schule gefilmt, und später habe ich dann auf diesen Aufnahmen etwas Seltsames entdeckt: eine Frau in einem roten Kleid, mitten im Feld. Und dann, als ich das Bühnenbild für die Theateraufführung machte, habe ich auf einmal so ein schweres, süßliches Parfüm im Theater gerochen und gleich danach ganz kurz etwas Rotes gesehen. Für all das hatte ich keine Erklärung, bis jetzt. Jetzt glaube ich, sie war das.«
»Wer?«
»May McGlynn. Ach, kommt doch einfach mit. Schaut es euch selbst an.«
Die Mädchen essen schnell ihre Kuchen auf, aber ich merke genau, dass sie nur mit in die Ausstellung kommen, um mir einen Gefallen zu tun.
Sie betrachten Mays Foto und lesen die Information dazu, während ich auf der CD zurückspringe, damit sie den Kommentar im Kopfhörer hören können.
»Das ist wirklich interessant«, sagt Marisol.
»Das ist gruselig«, korrigiere ich sie.
»Soll das heißen, du glaubst, du hättest einen Geist gesehen, und hast uns nichts davon gesagt?«, fragt Romy.
»Es war ja nicht so, dass ich es euch absichtlich verheimlicht habe. Ich wollte einfach nicht glauben, dass ich etwas gesehen habe, das in Wahrheit gar nicht da war. Ich habe Mrs. Zidar bei unseren Therapiesitzungen davon erzählt …«
»Du gehst zu Mrs. Zidar in Therapie?« Romy klingt beleidigt.
»Ich habe sie dahin geschickt. Wegen ihrer Schlafprobleme«, erklärt Suzanne.
»Du kannst nicht schlafen?« Nun ist Romy erst recht beleidigt. Warum ist alles, was ich sage, für sie nur die Bestätigung, dass sie was nicht mitgekriegt hat?
»Na ja, das kannst du ja nicht wissen, weil du die ganze Nacht schläfst.«
»Ich bin echt gar nicht mehr auf dem Laufenden.« Romy seufzt.
Marisol geht einen Schritt zurück und schaut zu May McGlynn hinauf. »Okay, das ist ein Zeichen.«
»Aber wofür?«
»Na ja, es gibt einen Grund dafür, warum du ins Museum gekommen bist und sie entdeckt hast. Sie will dir etwas sagen.« Marisol stemmt die Hände in die Hüften und späht zu ihr empor. »Sie ist sehr hübsch.«
»Sie war ein Filmstar«, überlege ich.
»Und du machst Filme«, sagt Suzanne.
»Das hat Mrs. Zidar auch gesagt. Sie sagte, die rote Frau sei irgendwie mit meinem Unterbewusstsein verbunden, mit meinem kreativen Zentrum.«
»Vielleicht gibt es einen Film von ihr, den du anschauen solltest oder so. Um eine Verbindung zu ihr herzustellen«, sagt Suzanne.
»Das kann kein Zufall sein«, sagt Marisol entschieden. »Das hat was zu bedeuten.«
Aber was? Und welche Rolle spielt May McGlynn in meinem Leben? Warum ist sie in meinem Videotagebuch aufgetaucht? Was will sie von mir?
»Wir müssen
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