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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Trigiani
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Ausstellungswürfeln umher, an denen lauter Schwarz-Weiß-Fotos hängen, die von Set-Fotografen geknipst wurden. An einer Wand hängen Bilder von Rudolph Valentino und in der Mitte eine virtuelle Leinwand, auf der Bilder von den Proben zu Der Scheich gezeigt werden. Ein Film über das Filmemachen – einfach perfekt.
    Im Rudolph-Valentino-Bereich drängt sich eine Gruppe italienischer Touristen, angeführt von einer Frau, die eine rot-weißgrüne Flagge in der Hand hält. Es herrscht andächtige Stille, während die Führerin den Leuten von Valentinos Kunst erzählt.
    Ich biege um die Ecke und springe auf der CD zum Kapitel Einheimische Künstler vor, das einen Überblick über Künstler aus dem Mittleren Westen vor und hinter der Kamera bietet.
    Ich spähe in Schaufenster, in denen Drehsets damaliger Filme nachgebildet sind. Dann drehe ich mich um und stehe vor einer großen Wand, wo eine Diashow mit lauter Gesichtern läuft. Die Bilder wechseln in rascher Folge: Schauspieler mit öligem Haar, blasser, weiß gepuderter Haut und geraden Zähnen mit Lücken dazwischen. Dann Bilder von Schauspielerinnen, platinblond mit kurzem Haar und bleistiftdünnen Augenbrauen.
    Ich erkenne eine sehr junge Joan Crawford in Our Dancing Daughters . Sie ist ein wenig pummelig, aber mitreißend in ihrem ersten Spielfilm. Die biografischen Angaben daneben besagen, dass Joan in Missouri lebte und das Stephens-College besuchte. Wer hätte das gedacht.
    Ich gehe zur nächsten Abteilung weiter, Talente aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Hier zieren lebensgroße Pappfiguren von Schauspielern und Schauspielerinnen in Schwarzweiß ein virtuelles Filmset. Es gibt eine Gruppe lächelnder Frauen in Charleston-Kleidern und Satinschuhen mit riesigen Schleifen. Sie haben wunderschöne Perlenketten um den Hals. Eine der Frauen trinkt Gin aus ihrem Schuh. Ich gehe durch die Ausstellung und sauge die Goldenen Zwanziger in mich auf, eine Ära voller Glamour und wilder Partys.
    Danach geht die Ausstellung unvermittelt zum Farbfilm über. Während ich die Ständer mit den Fotos betrachte, die vor Farbenpracht schier platzen, entdecke ich auf einmal eine Frau in rot.
    Das Bild der Frau strahlt puren Hollywood-Glamour aus. Sie lehnt an einer Kiste und raucht. Sie trägt ein knallrotes Charleston-Kleid und dazu passende rote Schuhe, elegant, mit einem eckigen Absatz, der mit roten Satinbändern gebunden ist. Unter ihrem kleinen schwarzen Topfhut schauen blonden Locken hervor. Sie blickt direkt in die Kamera, durch den geheimnisvollen Dunst ihres Zigarettenrauchs.
    Ich trete zurück und schaue sie aus schmalen Augen an.
    Ich kenne sie.
    Ich habe sie schon mal gesehen.
    Oh mein Gott. Die rote Frau aus meinem Videotagebuch. Das ist sie! Panik packt mich, und ich schaue mich nach einer Sitzgelegenheit um. Die kleine Bank vor der Informationstafel ist leer. Ich nehme Platz und schaue zu der roten Frau empor, um sie genau zu betrachten. Um sicherzugehen .
    Ich lese die biografischen Angaben unter dem lebensgroßen Foto.
    May McGlynn, geboren am 11. Oktober 1900 in Winnetka, Illinois, war die Lieblingsschauspielerin der Drehbuchautorinnen Frances Marion und Anita Loos für ihre Komödien. Das Starlet stand kurz davor, für die ganz großen Rollen im amerikanischen Film besetzt zu werden, kam jedoch tragischerweise am 3. September 1925 bei einem Flugzeugabsturz in South Bend, Indiana, ums Leben, wenige Tage vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag.
    Sie ist in South Bend, Indiana, gestorben! Wo?
    Ich lese weiter.
    Ihr Flugzeug stürzte in ein Getreidefeld, das zur Prefect Academy, einem Mädcheninternat, gehörte.
    Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder entsetzt sein soll – oder beides. Ich lese weiter, um mehr über May McGlynn zu erfahren.
    McGlynn galt als echter »Flapper«, sie feierte gerne und trank in der Öffentlichkeit Alkohol und war damit eine typische Vertreterin für die freizügige Moral der Zwanzigerjahre. Ms. McGlynn trat als Revuetänzerin auf, bis ihr mit dem Film Schrei der Wildnis der Durchbruch als Schauspielerin gelang.
    Ich ziehe den Kopfhörer von meinen Ohren und stehe auf. Ich starre auf May McGlynn, meine May McGlynn, die rote Frau , die mir auf einmal so real vorkommt wie meine Kamera. Es gab sie wirklich – sie lebte!
    Ich habe mir den Geist nicht eingebildet. Was ich gesehen habe, war May McGlynn. Sie lebt auf alten Filmrollen im Keller des Art Institute von Chicago, und wenn sie nicht in diesen Filmen herumspukt,

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