Violas bewegtes Leben
tun soll.«
»Ja, aber du hast es umgesetzt«, versichere ich ihr.
Suzanne kaut eine Weile an ihrem Bleistift herum, ehe sie ihn wieder in den Becher auf ihrem Schreibtisch steckt. Sie sieht traurig aus. »Mein Dad hätte sich wirklich gewünscht, nach Toledo zu kommen.«
»Ich weiß.«
»Manchmal ist es einfach so verdammt schwer.« Suzannes Augen füllen sich mit Tränen.
»Weißt du, jetzt hab ich’s kapiert. Irgendwie kommt es mir so vor, als wäre die PA voll mit Mädchen, die das meiste von dem, was sie im Leben brauchen, schon haben, aber irgendwie fehlt ihnen noch was, und es ist, als wären wir hierhergeschickt worden, um das zu finden.«
»Und was soll das sein?«, fragt Suzanne.
»Na ja … ich glaube, deinen Eltern war klar, dass du von zu Hause wegmusstest, damit du dich besser auf die Schule konzentrieren kannst. Ich glaube, vor allem dein Vater möchte, dass du unabhängig bist.«
»Aber warum?«
»Er möchte nicht, dass du ihn brauchst. Er liebt dich, aber er will, dass du dein Leben alleine auf die Reihe kriegst. Deine Eltern wollen dich darauf vorbereiten, ohne sie zurechtzukommen. Das Gleiche gilt für meine Eltern. Ich musste hierherkommen, weil sie arbeiten wollten, aber ich musste auch deshalb kommen – da hattest du am Anfang ganz recht –, weil ich zu behütet war und lernen musste, auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Behütet bist du aber längst nicht mehr.«
»Doch, noch ziemlich. Aber ich habe keine Angst mehr. Ich habe keine Angst mehr, dass ich nie mehr nach Hause kommen werde. Ich werde mich einfach dort, wo ich bin, ins Zeug legen und mein Bestes geben, egal wo das ist, und mir nicht so viele Gedanken machen.«
»Das klingt vernünftig.«
Ich höre einen leisen Glockenton und öffne mein Chatprogramm. Hat Andrew gemerkt, wie seltsam er war, und sich noch mal gemeldet? Nein, noch besser. »Es ist Jared«, verkünde ich.
Ich: Ich kann es kaum erwarten, dich am Wochenende zu sehen.
JS: Ich auch.
Ich: Ich glaube, meine Mentorin, die Tag und Nacht lächelt wie der unheimliche Mr. Sardonicus, kommt auch nach Toledo.
JS: Ich erinnere mich an sie. Trish.
Ich: Stimmt. Es kommen ganz viele mit, um mich zu unterstützen. Und bei dir?
JS: Auch.
Ich: Kommen deine Eltern?
JS: Weiß noch nicht.
Ich: Hättest du es gerne?
JS: Wäre schon schön, ist aber nicht so schlimm, wenn es nicht klappt. Wie haben die Aufnahmen von deiner Großmutter mit dem Rest zusammengepasst?
Ich: Super. Ich freue mich schon auf deinen Film.
JS: Drück mir die Daumen.
Ich: Mach ich. Bis Freitag dann.
JS: Bis Freitag.
Ich lehne mich zurück. Vielleicht liegt es ja an mir, aber erst benimmt Andrew sich irgendwie seltsam, und dann ist auch Jared so komisch. Er hat mit keinem Wort geschrieben, dass er sich für meinen Film interessiert oder sich freut, ihn zu sehen. Mir kam es so vor, als müsste ich ihm die aufmunternden Worte geradezu aus der Nase ziehen. Vielleicht ist er nervös. Oder vielleicht will er, genau wie ich, den Wettbewerb gewinnen, und mag mir das nicht sagen, weil ich ebenfalls daran teilnehme. Aber er hat mir doch von dem Wettbewerb erzählt – es ist ja nicht so, als hätte ich es von alleine herausgefunden. Ist das nicht auch eine Form von Unterstützung?
Mom sagt immer, Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen seien kompliziert, und ich habe ihr nie geglaubt. So langsam beginne ich zu begreifen, dass sie recht hat.
Romy, Marisol und Suzanne sitzen um meinen Computer herum, um die endgültige Version der May-McGlynn-Story zu sehen. Während der Vorspann läuft, gehe ich hinter ihnen auf und ab.
Romy wird sehen, wie ich ihr Budget und ihren Drehplanumgesetzt habe, Marisol sieht ihre Kostüme und ihr Bühnenbild (inklusive der Flugzeugnase, eigentlich der Ventilator einer Klimaanlage, den wir vom Hausmeister geliehen und in den Boden gesteckt haben, als Modell des Wracks). Und Suzanne, tja, sie ist der Star des Films und wird sich zum ersten Mal als May McGlynn erleben.
Ich hatte strengstens abgelehnt, den Mädels im Vorfeld Ausschnitte der Aufnahmen zu zeigen, sosehr sie auch bettelten. Ich wollte ihre unverfälschte Reaktion auf den fertigen Film. Und nun halte ich es fast nicht aus. Ich stehe am Fenster, so weit vom Computer entfernt wie möglich, während sie den Film anschauen.
Die Mädchen lehnen sich zurück und lachen laut, als Mrs. Zidar als Ärztin am Unfallort erscheint. Mrs. Carleton spielt Mavis, die Wahrsagerin, mit würdevoller Zurückhaltung und
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