Violas bewegtes Leben
wäre mit Federkiel auf Pergamentpapier geschrieben, in hübscher Schreibschrift und mit unlöschbarer Tinte. Ich möchte, dass dieser Text für immer Bestand hat und nicht in den Cyberspace geschickt wird und in einem schwarzen Loch verschwindet. Ich möchte, dass dieses Wort bleibt und, mehr noch, die Gefühle dahinter.
JS: Bist du noch da?
Ich: Ja. Ich werde immer da sein.
JS: Gut. Ich auch.
Was für ein perfektes Ende für einen perfekten Tag.
Am Sonntag packen Grand und George ihre Koffer ins Auto und fahren nach Cincinnati, um mit den Proben für Arsen und Spitzenhäubchen zu beginnen, während die Schülerinnen scharenweise in der PA eintreffen, um sich in das zweite Schulhalbjahr zu stürzen. Sämtliche Mädchen an der Schule scheinen neue Pullover zu tragen.
Vor der Abfahrt hat Grand noch Suzanne und Romy kennengelernt und Trish, die schwört, sie hätte Grand gesehen, als sie1995 mit dem Musical On the Twentieth Century in Chicago gastierte. Trish würde selbst in einem Gurkenglas noch Sternenstaub finden.
»Deine Großmutter ist toll«, sagt Marisol sehnsüchtig. »Ich bin froh, dass ich mit ihr gefeiert habe, wenn ich Weihnachten schon nicht bei meiner Familie sein konnte.
»Ähem …«
»Und mit dir natürlich.«
»Danke.«
»Übrigens, Viola, ich mache mir ein bisschen Sorgen um deinen Film.«
»Wieso?«, frage ich, plötzlich nervös.
»Ich verstehe die Schwarz-Weiß-Aufnahmen und den Kommentar dazu nicht so recht. Ich weiß nicht, was das soll. Wozu brauchst du das?«
»Na ja, Marisol, du weißt doch, dass man in einem Gedicht versucht, ein Gefühl mit möglichst wenig Worten auszudrücken?«
»Ja.«
»Wenn man einen Film macht, muss man das Publikum an einen Ort versetzen, den sie nur im Film aufsuchen können. Deshalb musste ich Mays Leben in den Zwanzigerjahren irgendwie dramatisieren, und das gelingt mir am besten, indem ich ihre Arbeitsumgebung zeige.«
»Aber wie soll das alles nachher zusammenpassen?«
»Tja, das ist dann der künstlerische Teil«, sage ich.
Mrs. Carleton verteilt die Aufgaben für unser Literaturprojekt. Sie will, dass wir uns vorstellen, ein Polizist würde nach einem Raubüberfall nachts an unsere Tür klopfen und wir müsstenihm das Verbrechen schildern. Ein interessantes Thema, aber ich habe andere Dinge im Kopf.
»Mrs. Carleton?«, frage ich nach der Stunde.
»Ja, Viola?«
»Ich habe im Internet gelesen, dass Sie mal Theater als Hauptfach hatten.«
»Das stimmt. Im College«, entgegnet sie, ohne von ihrem Laptop aufzuschauen.
»Haben Sie da auch geschauspielert?«
Mrs. Carleton setzt sich aufrecht hin. »Ich spielte die Hauptrolle in Andreevs Der Mann, der die Ohrfeigen bekam .«
»Echt? Also, ich habe mich gefragt, ob Sie in meinem Film mitspielen würden. Ich habe jede Rolle besetzt, außer der Wahrsagerin, und ich glaube, Sie wären super dafür geeignet.«
»Ist das für diesen Filmwettbewerb der weiterführenden Schulen?«
»Ja, genau. Mrs. Zidar spielt mit, meine Mentorin Trish wird die Hedda Hopper in Hollywood spielen, und meine Mitbewohnerin Suzanne ist die May McGlynn. Wir wollen am Wochenende hier auf dem Campus drehen.«
»Hast du ein Drehbuch?«, fragt sie.
»Hier, bitte.« Ich hole ein Drehbuch aus meinem Rucksack. Ich bin ziemlich begeistert, dass sie danach gefragt hat, weil das auf eine professionelle Schauspielerin schließen lässt – das und natürlich die Rolle zu meistern, nachdem sie das Drehbuch gelesen hat. Aber da mache ich mir keine Sorgen.
»Sie spielen Mavis, die Wahrsagerin, die May anfleht, nicht in das Flugzeug nach South Bend zu steigen, sondern bis zum folgenden Morgen zu warten. Das Flugzeug stürzt ab, und damit ist klar, dass Sie recht hatten«, erkläre ich.
»Klingt interessant. Ich bin dabei.«
»Spitze!«
»Aber, Viola?«
»Ja, Mrs. Carleton?«
»Du musst trotzdem noch den Aufsatz mit der Zeugenaussage schreiben.«
»Oh, ich weiß. Ich wollte mir dadurch keinen Vorteil verschaffen. Außerdem bin ich mittlerweile ziemlich gut im Aufsätzeschreiben, weil ich ja dieses Drehbuch schreiben musste.«
Romy entpuppt sich als ausgezeichnete Produzentin. Sie hat mein Drehbuch auf drei Tage aufgeteilt und die Schauspieler für die einzelnen Szenen organisiert. Sie hat dafür gesorgt, dass die Leute ihre Drehbücher im Voraus bekamen, und ihnen mitgeteilt, wo wir filmen und wie lange sie gebraucht würden.
Marisol hat im Kostümfundus des Phyllis-Hobson-Jones-Baus die genialsten
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