Violett ist erst der Anfang
Gespräch, jetzt bist du futsch. Mit eingezogenem Kopf schlich sich Jule in den Raum und bezog Posten neben dem Küchentisch. WG, Kurzform von Würg, nicht hingucken, Schweitzer. Rotes Kerzenwachs sprenkelte sich über die gesamte Platte bis zum überquellenden Aschenbecher. Neben dem lagen verkokelte Streichhölzer und eine zerknautschte Zigarettenschachtel, umzingelt von verstreuten Cornflakes. Ein Sprung zierte die weiße Porzellanschale, gefüllt mit runzeligen Äpfeln und einer Banane, die Jule kurz erschauern ließ. Sie schielte zur Boxershort, Halt-stopp, biss sich auf die Unterlippe, während sich Marcello Makellos total relaxt den Hintern kratzte und Kaffee einschenkte.
»So, den Rest kannst du haben«, meinte er. »Muss mich fertig machen. Hab gleich Schicht.«
»Ja, ne, schon klar, äh, danke, dann, äh …« Fahrig hob Jule die Hand zum Abschied und bemerkte dabei Ewa in der Tür.
Startklar für den Tag steckte Frau B. nun in einem grau-grün-gestreiftes Kaputzenshirt, kombiniert mit einer weiten, hochgekrempelten Jeans und schwarzen Uralt-Chucks. Mit einem Handtuch strubbelte sie sich durch die feuchte Mähne, hielt inne und blickte mit großen Augen zu dem Riesen auf, der sich halbnackt mit Tasse an ihr vorbei aus der Küche schob. »Wer-wer war das?«
»Marcello.« Jule seufzte, sah ihm nach, dann zu Ewa und auf ihre hochgezogene Augenbraue. »Hey, was ist? Mit Marco lag ich eben falsch. Tanja hat definitiv zu viele Buchstaben verstöhnt gestern. Marcello … Boah, da wären wir doch im Leben nicht drauf gekommen, echt jetzt.«
»Sicher nicht.« Frau B. warf das Handtuch in Richtung Esstischstuhl, plumps, landete es daneben am Boden, egal, sie holte zwei Tassen aus dem Schrank und teilte die Pfütze Kaffee auf. Milch rein, Zucker rein, umrühren, und sie hielt Jule einen der Becher hin. »Einmal blond und süß. Stimmt so?«
Jule lächelte. »Genau richtig.«
Da standen sie nun, einträchtig nebeneinander gegen den Herd gelehnt und schwiegen, die Blicke versonnen ins Nichts gerichtet.
»Hast du sein breites Kreuz gesehen, Ewa?«
»Ffffff, ahmmh, fffff«, kam teilnahmslos zurück. Frau B. pustete weiter hochkonzentriert in ihren dampfenden Kaffee.
»Hammer, oder?«
Ewa hob den Kopf. »Was jetzt?«
»Wo findet man so ein Schnittchen in freier Wildbahn? Ist ja ein halber Schrank, der Kerl. Und ist dir sein Arsch aufgefallen? Der war so süß klein, so kompakt in dieser karierten …«
»Jule, was faselst du hier eigentlich?«
»Wie – was? Ich rede von Marcello.«
»Eben!« Ein lodernder Blick traf Jule.
Ach herrje, so früh am Morgen schon Sturm. Besorgt stellte Jule ihre Tasse beiseite und wollte dem Zwerg über den Kopf streicheln, doch der zuckte weg. »Was hast du denn?«
»Du sabberst rum, wegen diesem Typen!«
»Na und?«, kam verständnislos von Jule.
»Na und?«, kam vorwurfvoll von Ewa.
Von daher weht der Wind, verstehe. »Hey, was erwartest du? Ich bin dreißig, verdammt!«
»Aha. Bedeutet? Du springst verzweifelt auf alles, was sich bewegt oder wie?«
»Bogacz! Ich bin nicht Babett!«
»Schon klar. Sonst würdest du nämlich mich anlächeln.«
»Tu ich doch!«, verteidigte sich Jule. »Aber ich gucke auf Männer, ja ja ja, ich gestehe. Ist das ein Verbrechen?«
»Nein. Trotzdem blöd.«
»Herrgott, wie soll ich diesen Reflex denn bitteschön abstellen, von jetzt auf gleich nach dreißig Jahren Training? Wie? Und ey, erzähl mir nicht, dass du diesen Arsch nicht registriert hast. Das war sowas von ein süßer Arsch, Fräulein.«
Die Bogacz’schen Ohren, sie färbten sich kirschrot. Wunderbar, das genügte als Antwort. Mit einem triumphierenden Grinsen nippte Jule an ihrem Kaffee. Nur wer ohne Sabber ist, darf den ersten Stein schmeißen, Bogacz.
Ewa räusperte sich zurück in die Spur. »Nun gut. Hast recht. Verbuchen wir dieses Verhalten unter … äh … hm.« Sie brach ab und sah Jule hilfesuchend an.
Die überlegte. »Jetlag? Ein Teil von uns hängt noch in der alten Zone, während wir bereits wo anders sind?« Himmel, klingt das bescheuert. Ich brauch mehr Kaffee.
»Hört sich stimmig an«, sagte Ewa und lächelte zufrieden. »Trotzdem. Violett funktioniert nur, wenn wir uns sicher sind.«
»Wobei? Ewa, hier ist gar nichts sicher«, anwortete Jule auf einmal aufgebracht. »Deshalb war unser Deal ja probehalber dings, schon vergessen? Bisher haben wir nur geknutscht und beim Rest stellen wir uns an wie sonstwas, ey, wir haben null Peil. Frau-Frau, was ist da
Weitere Kostenlose Bücher