Violett ist erst der Anfang
Brocken Polnisch. Außer Żubrówka, hieß übersetzt vermutlich Kotzkatalysator. Aber Ewas Ansage klang nicht gerade nach: Mensch, Marcello, mein alter Kaffee-Saufkumpan, schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt, ausgerechnet jetzt, hier so mittendrin, komm setz dich zu uns, lass uns plaudern, schunkeln und schnapp dir nen Keks. Hätte in etwa die gleiche Textlänge gehabt, doch ne, ausgeschlossen. Ewas wüstes Gezeter ging eindeutig in Richtung: Jetzt ist Polen offen, Bursche. Lauf, wenn du kannst.
Bild 2: Marcello, der unter dem donnergleichen Wortschwall erst stotterte und stammelte, dann zum Gegenangriff ausholte mit belehrenden Wortbeiträgen. Warum sie beide denn auch ausgerechnet in der Küche … blabla … WG-Gemeinschaftsfläche … sülz … wohl noch nie was von Bett gehört … und eine heiße Nummer schob man nachts. Autsch! Blöder Fehler, denn spätestens jetzt hatte er Frau B. so richtig in Rage getextet. Zwar wechselte Ewa daraufhin endlich ins Deutsche, jedoch hieß ihr Thema grob: Schamlose sexuelle Lärmbelästigung in 2er-WGs nach 24 Uhr. Laut blieb es und Schimpfwörter fielen in rauen Mengen, und als Ewa schließlich hitzig die Frage in den Raum schmiss, wie ein überflüssiger One-Night-Stand wie er es überhaupt wagen konnte, seine schmierigen Drecksfinger an ihre heilige Kaffeemaschine zu legen – tja, da wurde es Marcello Makellos zu brenzlig, und er stürzte davon.
Bild 3: Sie … bebend auf dem Küchentisch, wie gelähmt, die Beine noch immer verräterisch gespreizt, die Hände panisch um ihren nackten Oberkörper geschlungen. Unfähig zur Entscheidung, ob sie zuerst blind nach ihrer Brille oder ihrem Shirt fanden sollte. War so ein bisschen das Ei-Huhn-Dilemma. Ohne Brille keine Shirtsuche, ohne Shirt keine Brillensuche. Schachmatt.
Bild 4: Ewas beiläufiger Blick auf die Uhr, ihr entsetzter Aufschrei, ein hektische Abschiedskuss und schwupp, fiel die Tür ins Schloss. Weg war sie. Hätte nur noch ein »Baby, war nett mit dir, ich ruf dich an irgendwann« gefehlt, und Jule wäre in Tränen ausgebrochen. Was für eine bescheuerte Nummer mal wieder. Erst wurde man ohne Vorwarnung lüstern angeknabbert und dann halbvernascht auf dem Küchentisch liegengelassen. Hallo? Selbst im Violett-Knigge stand doch hoffentlich: Nur aufreißen, was du auch verschlingen kannst, sonst Finger weg und Verpackung zulassen.
Bild 5: Wieder sie … angewidert in der versifften WG-Dusche und – äh, kein schönes Bild. Weiter.
Bild 6: Noch mal sie, verzweifelt und fluchend, wühlend in Ewas Kleiderschrank auf der Suche nach …
Da flog Jules Garderobentür auf. Auftritt Ewa, bebend und sichtlich durch den Wind. Hektisch zog sie die Tür hinter sich zu, sank dagegen und fixierte heftig atmend die Zimmerdecke.
»Muss ich den Arzt rufen, Süße? Oder kommst du klar?«
»Jule …« Offenbar fand Ewa ihre Sprache wieder. »Du darfst jetzt bitte nicht durchdrehen. Es passiert was Schlimmes.«
»Aha.« Im Zeitlupentempo wechselte Jule in den Sessel, schlug die Beine übereinander, richtete sich kurz das Haar und räusperte sich theatralisch. »Dann leg los. Drama beruflich oder Drama privat?«
»Beruflich.«
»Gut. Hätte mich ehrlich gesagt auch ein bisschen gewundert, wenn du jetzt schon Schluss machst nach, Sekunde …« Jule schielte zur hässlichen Wanduhr. »Nach sieben Stunden Violett. Schieß los.«
Ewa hockte sich auf die Armlehne und zerstrubbelte ihr Haar. »Ich komme gerade vom Kaffeeautomat, und vor mir standen Harald und Frank, und die haben …«
»Moment«, stoppte Jule den Bericht und hob die Hand. »Wer?«
Ewa grinste. »Du hast es nicht so mit Namen, oder?«
Fieses Namensproblem, ertappt. »Ich kann mir nicht jeden merken.«
»Dann zur Sicherheit: Ich heiße Ewa. Nicht Edda, Elsa oder Elke.« Sie knuffte Jule in die Seite. »Und Harald und Frank sind unsere Storyliner, die …«
Ach, Triefnase und Nuschelgnom. »Bin im Bild. Und?«
Ewas Miene wurde ernst, und sie legte Jule behutsam eine Hand auf die Schulter. »Jule, du bekommst Aids.«
»Bitte?«
»Keine Panik. Nur HIV, zunächst.«
»Was heißt hier nur ?« Jule sprangt auf und tigerte durch den Raum, musste sich bewegen. »Ey, ticken die noch ganz richtig? Aids, schön, ist ein Problem. Aber Violett ist nicht schwul. Warum können wir nicht … keine Ahnung, hübsch heiraten und ein Kind adoptieren?«
»Geht rechtlich nicht, glaub ich, mit der Adoption.«
»Herrgott, aber es wird doch irgendwas Schönes ohne
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