Violett ist erst der Anfang
sah Jule Ewa direkt an. Verwirrt, verzweifelt, geschockt, ratlos, restlos überfordert, all ihre Emotionen packte sie in diesen einen Blick. »Ewa, ich schwöre dir, wir probieren das aus. Alles, irgendwie, das volle Programm, ich streng mich auch an, versprochen. Aber … hör dir das mal an, ey! Wenn Frauen dabei so stöhnen, dann … dann … pack ich nur eine, nur dich, und keine Tanja obendrauf, das ist too much für mich. Verstehst du?«
Frau B. atmete auf und lächelte erleichtert. »War wohl ein bisschen viel heute, richtig?«
Jule nickte. Morgens noch einen Kater gehabt und hetero gewesen, jetzt hatte sie eine Frau an den Haken und war violett. Was ein Tag! Während Tanja nebenan lautstark ihren nahenden Höhepunkt in allen Einzelheiten moderierte wie ein Fußballkommentator, Flanke hier, Flanke dort und mach ihn rein, Junge, olé, streichelte Ewa ganz sanft über Jules Wange. Ihre Blicke trafen sich und selbst im Halbdunkel verlor sich Jule im warmen Funkeln der Knopfaugen. Alles gut, und ihr Puls beruhigte sich wieder, von Sekunde zu Sekunde mehr. Wortlos zog Ewa sie zurück in die Kissen und breitete wieder die Decke über sie.
»Jule?«, kam dann leise.
»Ja?«
»Wir könnten doch morgen …«
»Bitte nicht mehr hier, sondern bei mir übernachten? Wahnsinnig gerne, Ewa, nichts lieber als das. Und jetzt …«
»Kuscheln? Ganz unverfänglich?«
»Klingt toll. Und vielleicht auch …«
»Knutschen? Ganz harmlos?«
»Klingt himmlisch, Ewa.«
»Finde ich auch, Jule.«
KAPITEL 6
Keine Frage, ein Handy mit Weckfunktion war praktisch. Doch so entsetzlich grausam. Was für ein gemeiner Ton. Boah, ich hau dich in Stücke! Schlaftrunken riss Jule die Hände Richtung Ohr und … rums.
»Auaha!« Ewa jaulte auf, schnellte hoch und umklammerte nach Jules Ellbogenhieb ihre Nase.
Schlagartig war Jule wach. »Tu-tut mir leid.«
»Schon okay.«
»Si-sicher?«
»Mensch Jule, krieg dich ein«, meinte Ewa lässig. »Ich werde schon nicht gleich sterben oder Nasenblu… Taschentuch!«, brüllte sie los und warf ihren Kopf in den Nacken.
»Alles okay bei dir?«
»Nein! Taschentuch!« Ewa presste sich eine Handfläche unter die Nasenlöcher.
»O-oh-okay, verstehe, klar, ich … äh … Taschentuch?«
»Container, oben«, näselte Ewa an ihrer Hand vorbei.
Instinktiv tastete Jule nach ihrer Brille, setzte sie auf – viel besser, ui, ach so, dieser Container. Sie wühlte in der ersten Schublade, fand das Päckchen, riss es auf, reichte Ewa ein Tuch, und die drückte es sofort an ihre Nase. Jule atmete aus. Uff, noch nicht einmal zwei Minuten wach und schon Verletzte. Dazu dieser Radau! Mit schwirrendem Schädel blickte sie sich um, stand auf, lokalisierte das Handy in Ewas Tasche auf dem Schaukelstuhl und brachte es durch hektisches Rumgedrücke irgendwie zum Verstummen. Was ein Stress.
Jule hockte sich auf den Bettrand. Ihr Blick ging zu Ewa. Die betastete vorsichtig ihre Nase, sah auf das unbefleckte Taschentuch und warf es beiseite. »Falscher Alarm.«
Na, dann herzlichen Dank fürs Drama, Bogacz!
Da schlangen sich zwei Arme um Jules Hüften und zogen sie zurück aufs Laken. Ewa … Die kuschelte sich seitlich an Jule, so halb dran-drauf, hauchte ihr ein Küsschen auf die Schulter und grinste breit.
»Was ist denn bitteschön so amüsant?«
»Du siehst geil aus, Jule. Deine Frisur, voll zerbombt.«
»Pfff, guck mal in den Spiegel, Fräulein. Bei dir steht jede Franse auf Zwölf.« Und auch der Rest war, ach Gottchen, knuffig irgendwie. Das linke Bogacz-Bäckchen glühte, verziert mit einem knautschigen Muster, das sich bis zum zarten Hals zog.
Ewa gluckste. »Daran muss ich mich noch gewöhnen.«
»Ich mich auch.« Jule seufzte. »Dass wir beide … in einem Bett gemeinsam kuscheln und aufwachen. Verrückt.«
»Jule, ich meinte eher … du mit Brille.«
»Oh. Ach so.«
»Ist die nicht viel zu groß für dein Gesicht? Dieser dicke, dunkle Rahmen, ey, als wärst du Bibliothekarin, weißt schon, so eine biedere, vertrocknete Eule, die mit sechzig noch nie einen Kerl klargemacht …«
»Bogacz!«
»Was denn?«
»Ich kann das Teil gerne abnehmen, wenn es dich abtörnt, aber dann kratzt du mich vom nächsten Türpfosten.«
»Gern. Muss nur leider um acht in der Maske sein. Hab die erste Szene mit Leonie. Ich spring kurz unter die Dusche, okay?«
»Jep. Spring.« Jule gähnte.
Frau B. zögerte. »Wobei ich natürlich viel lieber mit dir …« Ihr schiefer Hundeblick war überwältigend.
Als
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