Violett ist erst der Anfang
wirklich nie, was du willst. Erst soll ich lesen, dann fahren …«
»Klappe!«, brüllte Ewa.
»Siehste?« Jule triumphierte. »Und jetzt soll ich die Schnauze halten. Ey, manchmal bist du echt so, so …«
»Wieder rot. Toll. Danke, Arschloch!«
»Arschloch? Das verbitt ich mir! Das ist kein Kosename, das ist – humpf!« Da versiegelte ihr Ewa hitzig mit einem Kuss die Lippen. Blackout. Weg war alles. Der Streit verrauchte, jeder Gedanke gleich mit, die Orientierung ebenfalls, Raum, Zeit, poff, vollkommen wurscht. Allein dieses wunderschöne Prickeln zählte. Die gefühlvolle Zunge, die Flutwellen auslöste. Wohlig warm schwappten die durch Jules Körper, umspielte berauschend ein pochendes Herz. Mehr war da nicht, abgesehen von einem kleinen, unromantischen Hupkonzert. Leute, samstags ab eins macht jeder sein’s. Und somit knutschten sie noch eine Weile weiter.
Schnurrend leckte sich der knuffige Zwerg die Lippen und strahlte zum Niederknien. »Du schmeckst tatsächlich nach Oregano.«
»Na bitte.« Jule grinste. »Hab ich doch gewusst, dass dich das interessieren könnte, Fräulein.«
»Jule, ich will nicht streiten. Hörst du?«
»Ich doch auch nicht, Süße.« Hände suchten sich, Lippen fanden sich. Hach … Nur das Gehupte ging allmählich auf die Nerven. Seufzend lösten sie sich voneinander. Die Ampel direkt vor ihnen sprang auf Rot, vermutlich bereits zum wiederholten Male. Egal. »Und nun?«
»Tja.« Ewa wuschelte sich durch die Fransen. »Wenn ich nicht gleich diese bescheuerte Straße finde, dreh ich durch.«
»Ich sag nur Bahnhof.«
»Jule«, wurde Ewa sofort wieder laut. »Ey, weißt du, du kannst so ein mieses …«
»Schatz«, bremste Jule ihre Freundin aus. »Am Bahnhof parken wir und nehmen uns ein Taxi. Keine Diskussion.«
Ein brillanter Vorschlag von der Schweitzer. Kaum hatten sie die Karre von den Hacken, stieg die Stimmung wieder. Selbst der Regen machte netterweise eine Pause, und zwischen den dicken Wolken schimmerte blauer Himmel durch. Alles super. Zumindest theoretisch. Praktisch war Ewa etwas blass um die Nase. Daumenkauend lehnte sie an der Rostlaube, während ihr Blick an Jules Hand klebte.
»Stimmt was nicht?«, fragte Jule nach und wischte ihre Finger prophylaktisch an der Jeans längs.
»Soll ich … äh … ich meine, soll ich die … nun nehmen?«, stotterte Ewa.
Irritiert hob Jule eine Augenbraue. Meine Fresse, Bogacz. Du kannst aber auch aus jedem Pups ein Drama machen. Händchenhalten in Hamburg, das war … äh, Sekunde. Auch in Jules Hirn ratterte es auf einmal los. Ups. Das hatte sie nicht bedacht. Pro kloppte sich mit Contra, Panik mit easy peasy. Schweitzer, dies ist eine Großstadt. – Aber wir sind zwei Frauen. Am helllichten Tag. – Nochmal Schweitzer, dies ist eine Großstadt. – Eben! Da haste nicht nur Bildungselite, sondern unterbelichtete Honks, die dich für eine Lesbe halten und blöd von der Seite anmachen, womöglich. – Schweitzer, na und? – Na und? – Kritik vom Publikum. Steh drüber. – Das sagst du so leicht …
Jule fasste sich an die Schläfe. Wie gerne hätte sie einen Telefonjoker angerufen und akut um Rat gefragt. Susan, kriegen violette Frauen eins auf die Fresse? Antwort A ja, B nein, C vielleicht und D Quatsch, Violett interessiert keine Sau. Tja. Diese Grübelei führte zu nix, mal ehrlich. Jeder Schritt auf diesem Violett-Frau-Frau-Ding-Neuland glich einem Versuch im Chemieunterricht. Alles konnte gutgehen, oder das Experiment flog ihnen eben mit Karacho um die Ohren. Tja. Verliebte Paare halten Händchen, und ich bin verliebt. Punkt. Jule nahm Ewa an der Hand und marschierte entschlossen los, furchtlos ins Getümmel. Wandelhalle stand in großen Lettern am Bahnhofsgebäude. Das passte, leider. Jules Verfassung wandelte sich permanent. Sie kam sich vor wie ein Dessous-Model auf dem Laufsteg, dem bei jedem Schritt der Slip tiefer rutschte. Weiterlaufen, weiterlaufen, scheiß auf die Blicke. Waren da wirklich Blicke? Aber hallo. Ständig! Gut, das konnte natürlich auch an Frau B. liegen. Die hatte eine Trefferquote von hundert Prozent, ditschte gegen bummelnde Passanten, stolperte über kreuzende Rollkoffer, murmelte in einer Tour Entschuldigung, rempelte einem Anzugträger beinahe sein Handy vom Ohr, bis ein wuseliger Trupp orientierungsloser Asiaten ihre Zweierreihe endgültig sprengte.
»Tu-tut mir leid«, stammelte Ewa und versenkte die Hände tief in ihren Hosentaschen. »Ich kann das nicht.«
»Schon okay.«
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