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Violett ist erst der Anfang

Violett ist erst der Anfang

Titel: Violett ist erst der Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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Ewa.
    »Unter der Dusche hört der nix.« Ihre Finger wanderten los und fabrizierten eine Ballade in ergreifendem Moll. Ein Glücksgefühl durchströmte Jule, erst recht, als sich Ewa auf den Flügel stützte und ihrem Spiel lauschte, mit einem Leuchten in den Augen. Jule grinste. »Bist du bereit, Süße?«
    Schon nach den ersten Anschlägen huschte ein Lächeln über Ewas Gesicht. Der Song von Viola, den sie letzte Woche gemeinsam am Set geprobt hatten. Wie unwirklich. Zwischen damals und heute schienen Welten zu liegen. Leise begann Ewa zu singen. Ein Schauer kroch über Jules Rücken. Diese Stimme … Wie eine flauschige Decke für die Seele. Jule schloss die Augen, als sich Ewas Körper von hinten an sie schmiegte. Ein magischer Moment, der in Jule nachhallte, kaum war der letzte Ton verklungen. Ewa kuschelte sich neben sie auf die Bank und streichelte ihr eine Strähne hinters Ohr.
    »Musik ist wohl deine absolute Leidenschaft?« Ewas Frage war mehr eine Feststellung.
    Jule nickte und biss sich auf die Unterlippe. »Irgendwie schon immer. Wenn ich spiele, wenn ich singe, das ist wie Luftholen, wie Losfliegen, verstehst du? Meine erste Klavierstunde hatte ich mit sechs und …«
    »Krass. Gegen dich bin ich voll der Spätzünder.«
    »Wie … äh …«, sagte Jule irritiert. »Heißt das, du spielst auch? Aber warum hast du das nie erzählt?«
    »Klavier, Gitarre, Schlagzeug und Saxophon. Na ja, ich kann alles ein bisschen und nichts richtig. Mich faszinieren die verschiedenen Klänge. Hab viel rumprobiert während der Ausbildung, ohne Unterricht, und mir das selbst beigebracht. Beim Songschreiben und …«
    »Sekunde.« Jules Augen weiteten sich. »Du komponierst?«
    »Ja. Nichts Wildes. Macht einfach Spaß. Nur fehlt mir momentan ein Keyboard oder so, auf dem ich …«
    »Gott, Süße«, hauchte Jule überwältigt. »In meiner Wohnung steht ein Flügel.« Wahnsinn. War dies ein Traum? Oder teilten sie beide wirklich die größte Leidenschaft, die es in Jules Leben gab? Musik … Und Jule schossen spontan Tränen in die Augen, als sie dem schnuffigen Zwerg über die rosa schimmernde Wange strich. Die Bogacz, ein Sechser im Lotto. Grinsend pellte sich Ewa aus ihrer Jacke, krempelte sich die Blusenärmel hoch, schien sich zu konzentrieren und all ihre Emotionen zu fokussieren, dann holte sie tief Luft und … Fuck, Flohwalzer! Jule kippte halb vom Hocker.
    Ewa kicherte. »Machst du mit?« Sie rempelte Jule mit dem Ellenbogen in die Seite und klimperte weiter. Jule kapitulierte. Diesem schnuffigen Wirbelwind konnte sie sowieso nichts abschlagen. Also griff sie in die Tasten. Flohwalzer für Fortgeschrittene, vierhändig und so entsetzlich falsch. Egal. Glucksend ließen sie ihre Finger galoppieren, rauf, runter, überkreuzten ab und an ihre Hände, steigerten das Tempo. Runde um Runde wurden sie flinker und übermütiger. Schneller, immer schneller und …
    »Hände hoch oder ich drück ab!« Eine Männerstimme aus dem Off.
    Jäh endete ihr Walzer. Der Floh hatte ausgetanzt, hockte nun wimmernd in einer Ecke und flennte um sein Leben. Im selben Moment rissen Ewa und Jule die Finger von den Tasten, erfasst von nackter Panik, und reckten die Arme weit in die Luft. Nicht schießen, bitte nicht schießen, flehte Jule in Endlosschleife und versuchte krampfhaft weiterzuatmen. In ihrem Hirn fahndete sie nach klaren Gedanken . Kai-Uwe Holzfeld. Verdammt! Wie hatten sie den nur vergessen können? Jule schluckte, als sie den ängstlichen Blick von Ewa auffing. Bekamen sie den Kopf wieder aus der Schlinge? Ganz lässig mit einem entwaffnenden Grübchenlächeln? Das letzte Lächeln meines Lebens … Jule war halb schwarz vor Augen. Wie in Zeitlupe erhob sie sich, drehte sich, todesmutig und … Aber hallo! Dich kenn ich doch. Das war Babetts Morgenmantel, exakt der gleiche. Rosa schimmernder Satin mit gestickten Schmetterlingen drauf. Sauerrei, was für eine Verarsche. Hatten die aus dem Kostümfundus nicht behauptet, der sei ein Unikat aus einer hippen Londoner Boutique? Pah, ein Mainstreamfetzen vom H&M-Wühltisch. Der diesem Kai-Uwe so gar nicht stand. Das Dickerchen in pinken Plüschpantoffeln wirkte wie ein zu heiß gewaschener, gemästeter Klon von Dieter Thomas Kuhn. Klein, Kugelbauch und obendrauf eine blonde Föhnwelle. Gott, wie erniedrigend war dieser Anblick. Als würde man bei einem Galaempfang auf dem roten Teppich über eine wabbelige Schabracke im gleichen Kleid stolpern. Zack, da traf sie Ewas Ellbogen in die

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