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Violett ist erst der Anfang

Violett ist erst der Anfang

Titel: Violett ist erst der Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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Lichter aus. Ein spitzer Schrei, dann schlug sie sich die Hände vor die Augen. Die brannten wie Hölle und tropften binnen Sekunden wie die Niagarafälle. Ein fieses Kribbeln legte sich in ihre Kehle, ließ sie husten, röcheln und verzweifelt nach Atmen ringen. Tschüss, du Welt. Ich geh dann mal. Ein dunkler Tunnel. Es gab ihn tatsächlich, und sie taumelte hinein, herausgerissen aus dem Hier und Jetzt. Nur schwebte sie nicht mit Engelsfanfaren vorwärts, sondern strauchelte blind rückwärts, und da war auch kein glamouröses Licht in weiter Ferne, nein, nur tosende Stimmen in der Nacht.
    »Skurwysyn! Arschloch! Pisser!«, brüllte Ewa und hustete.
    »Loslassen!«, wimmerte Kai-Uwe, der ebenfalls hustete. »Sie hat mich angegriffen. Und ich hab sie gar nicht richtig erwischt.«
    »Willst du einen Orden? Na warte! Ciota! Dich mach ich platt, du Sack! Wir sind Freunde von Alicja und …«
    »Was? Sagt das do-auah-uff.« Offenbar hatte Kai-Uwe ein Schlag getroffen. Oder hatte ihn Ewa lediglich geschubst? Oder hatte er sich aus spontaner Reue selbst eins übergebraten? Tja. Fragen über Fragen. Jule war raus und so blind wie noch nie in ihrem Leben. Ihre Augen? Wie zugeklebt und brannten wie Feuer. Irgendwer schien ein Fenster aufzureißen, Straßenlärm schwappte ins Zimmer, ein Luftzug streifte Jule und zwei Hände legten sich auf ihre Schultern.
    »Bist du okay?« Ewas besorgte Stimme drang an ihr Ohr. »Sag was, bitte!«
    »Ich …« Husten schüttelte Jule. »Ich … will … sterben.«
    »Gestorben wird nicht, hörst du? Ich bin ja da. Und jetzt Bewegung, oder ich mach Kleinholz aus dir!« Das galt dann wohl Herrn Holzfeld, der sofort gehorchte. Zumindest griffen zwei weitere Hände nach Jule und schoben sie geradeaus, dann links, dann rechts, ach, irgendwohin durch die Finsternis. Quietschend wurde ein Wasserhahn aufgedreht, ihr Kopf nach unten gedrückt, und kühles Nass plätscherte auf ihre Augen.
    »Aufmachen, Jule. Du musst sie ausspülen.«
    »Kontakt-hust-linsen.«
    »Scheiß drauf! Du hast noch deine Brille. Die ist toll.«
    »Ach-röchel-interessant.«
    »Kein Theater! Augen auf oder ich mach Schluss.« Zack, das wirkte. Mit all ihrer Restenergie linste Jule tapfer in den Wasserstrahl. Halleluja, der Schmerz ließ nach. Oder reduzierte sich zumindest von einer glatten Zehn auf eine etwas moderatere Acht-Komma-fünf. Liebevoll kraulte Ewa ihr den Nacken, und das Schmerzniveau sank rapide auf annehmbares Mittelmaß. Irgendwann wurde ein Eisbeutel auf Jules Augen gepresst. So ließ es sich wieder leben. Irgendwann wollten ihre weichen Knie trotzdem nicht mehr mitspielen. Auf einem flauschigen Teppich streckte Jule sich aus, während jemand ein Handtuch unter ihren Kopf schob und ihre Füße hochlegte, gefühlt auf die Toilette. Schön. Beschissen wäre geprahlt. Die Zeit verging, und Jule beruhigte sich unter den streichelnden Fingern in ihrem Haar. Ewa, die begnadete Krankenschwester. Ganz in Weiß mit weit aufgeknöpfter Bluse, Minirock und Pumps und … uff, sorry, Kopfkino. Live brachte die Nummer nichts. Sexy Rollenspiele ohne Sehvermögen wären so sinnig wie ein Strip im Darkroom. Tja. Irgendwann hob Jule den Eisbeutel an, blinzelte, geil, es funktionierte wieder.
    »Jule, brauchst du irgendwas?«, fragte Ewa.
    Der Witz des Tages, Bogacz. Wie lang soll die Liste werden? Da wäre zum Beispiel … Bingo! »Hol mir bitte meine Handtasche.« Zu Befehl. Ewa verschwand, und Jule hangelte sich hoch. Kaum hielt sie das Teil in Händen, schubste sie ihre verdatterte Freundin aus dem Bad und sperrte ab. Kai-Uwe, du schuldest mir was …
    Frischgeduscht. Kein Tortenmatsch mehr im Haar, kein Lustschweiß auf der Haut und endlich die saubere Unterwäsche aus der Handtasche am Körper, hach, wenn das mal kein Glück im Unglück war. Die Schweitzer’schen Lebensgeister waren zurück, ihre Sehkraft ließ noch auf sich warten. Egal. Das Klavierzimmer fand Jule immerhin, betrat es und rückte an ihrer Brille. Die seidigen blauen Vorhänge waren zugezogen und dämpften das Licht im Raum, in dem Ewa und Kai-Uwe einträchtig nebeneinander auf der Couch hockten, bewaffnet mit Sektflöten.
    »Ihr trinkt Champagner?«, merkte Jule in entrüstetem Ton an und beendete die Zweisamkeit. »Ohne mich?«
    Ewa sah auf. »Jule!« Sofort stellte sie ihr Glas auf dem Flügel ab und eilte Jule entgegen, hui, eierte vielmehr mit leichter Schlagseite auf sie zu. »Nicht aufregen. Ist nur Prosecco. Ey, der Typ ist so was von

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