Violett ist erst der Anfang
Ich bin nicht Babett.«
»Aber das wissen die Fans doch.«
»Eben nicht!« Jule verdrehte die Augen. »Oder warum sabbern uns jetzt alle Lesben an? Ewa, die da draußen fantasieren sich ein Bild von dir zusammen. Aus allen Fitzeln, die sie in die Finger kriegen. Interviews, Steckbriefe, Fotos. Und so schief das Bild auch ist, du wirst daran gemessen. Schreibst du einem Fan zurück, musst du jedem Fan zurückschreiben, oder das Geheule ist groß und du wirst der Buhmann, der seine ach so treuen Anhänger nicht würdigt. Gibst du pausenlos den Sonnenschein und Best Buddy, freuen die sich nen Keks, aber wehe, du hast einmal einen schlechten Tag und vergreifst dich im Ton. So schnell kannst du gar nicht gucken, wie die mit Dreck auf dich werfen.«
»Jule …«, kam beruhigend von Ewa.
»Wirklich, das ist mein voller Ernst. Lob ist geil, keine Frage, Komplimente sind fantastisch. Die nimmt jeder gerne persönlich. Doch was ist mit Kritik? Sobald du auch nur einen Fuß in der Öffentlichkeit hast, darf dich jeder anhupen, begründet oder nicht, egal. Und glaub mir, es tut weh. Beschissen weh, wenn dich Menschen runtermachen, und du kannst nicht zurückbrüllen oder dich verteidigen. Auf dieses Theater hab ich keinen Bock mehr. Sollen die doch glauben, ich spiele Golf. Wie ich privat wirklich bin, geht die einen Scheißdreck an. Ob ich hochtrabend Rilke lese oder die Gala wegen der bunten Bilder. Oder ob ich auf Kräutertee abfahre und versaute Dessous sammel oder …«
»De-Dessous?« Ewa geriet ins Stottern. »Du-Du sa-sammelst …«
»Siehst du? Geht niemanden was an. Halt Abstand, Ewa. Fühl dich geehrt, puhl dir meinetwegen die Perlen raus, ignorier den Rest und nimm nichts davon persönlich. Fans sind Fans, nicht deine Freunde. Verwechsel das nicht. Sonst läufst du eines Tages Amok.«
Über Ewas Stirn zog sich eine sorgenvolle Falte, als sie von der Motorhaube hopste und beinahe schüchtern Jules Hand ergriff. »Du hast einiges einstecken müssen. Richtig?«
»Pfff.« Jule fixierte die Haarnadel in ihren Fingern. »Egal. Karriere ist durch, jetzt …«
»Sekunde. Was heißt das?«
Jule machte sich los und wandte sich ab. »Nichts.«
»Hey, sieh mich an.« Ewa legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich will das wissen, okay? Ich will alles wissen von dir.«
»Warum?« Jule fuhr herum, und funkelte ihre Freundin an. »Warum, Bogacz? Geilt dich das auf? Willst du mit mir angeben? Jule Schweitzer, der Musicalstar, der …«
»Mir schnurz, ob du berühmt bist. Es geht mir um dich. Nur um dich. Das alles gehört doch zu dir, und ich will wissen, was …« Da riss Ewa sie an sich, drückte sie gegen die Rostlaube und zettelte einen hitzigen Kuss an.
Jule sah Sterne. Überrumpelt vom amourösen Angriff schmolz sie auf dem Blech dahin wie eine Eistorte im Ofen. Sie vergaß Zeit und Bahnhof, bis Ewa sie unvermittelt freigab. Jule schnappte nach Luft, und richtete notdürftig ihre zerwühlte Frisur. »Hossa, Fräulein. Das war jetzt aber …«
»Verdammt knapp«, keuchte Ewa. »Mensch, die Bullen sind eben längsgelaufen. Ey, wenn die uns mit der Haarnadel erwischt hätten, dann …«
»Haarnadeln sind legal.«
»Aber nicht im Autoschloss.«
»Meinst du, die hätten uns gleich eingebuchtet?«
»Keine Ahnung, Jule. Ob die einem für Autodiebstahl Knast aufbrummen, müsste ich googlen. Oder einen Kumpel von mir fragen. Der kennt sich damit … was ist? Warum guckst du so?«
Jule zögerte kurz. »Du willst wirklich alles von mir wissen? Kein Witz?«
»Mein voller Ernst. Wieso?«
»Gut. Dann Geständnis Nummer Eins: Ich kapituliere. Ich krieg diesen Schrotthaufen echt nicht auf. Tut mir leid.«
Ewa lachte auf. »Kein Ding. Bin schon tief beeindruckt, wie lange du diesen Schwachsinn überhaupt probiert hast.« Schmatz, die Bogacz belohnte mit Bussi. »Du bist trotzdem toll, Jule.«
»Auch wenn ich gleich mädchenhaft den ADAC rufe?«
»Ne, lass mal.«
»Verstehe. Törnt ab.«
»Quatsch. Ich meine … was soll’s? Irgendwann schleppt jemand die Rostlaube ab, und wir sind das Scheißteil endlich los.« Ewa grinste und knuffte ihr in die Seite. »Mit dem Taxi zur Boutique?«
Jule stiegen Tränen in die Augen. Das ist mit Abstand das Wundervollste, das du jemals gesagt hast, Süße …
KAPITEL 19
Nach kurzer Taxifahrt hieß es wieder: Sie haben Ihr Ziel erreicht. Tja. Dieses Ziel hätten sie eigentlich auch ohne Hilfe finden können, so zentral beim Spielbudenplatz, schräg gegenüber von Sister Act ,
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