Violett ist erst der Anfang
Bleifuß-Bogacz. »Am Steuer bin ich ein Ass. Einparken kann ich einwandfrei. Nur beim Einordnen müsstest du mir helfen. In Hamburg hab ich null Peil.«
»Wir haben keinen Schlüssel!«
»Oh. Ach so.« Jule ließ die unschöne Info sacken, in der Tat, das hatte sie übersehen. Sie warf Ewa ihr iPhone zu. »Sei doch so lieb und google Auto kurzschließen.«
Ewa parierte. »Krass. So viele Treffer.« Schweigend begann sie zu lesen und sog die Infos in sich auf. »Rotes Kabel ist Dauerplus, das schwarze Zündungsplus, und die verbindet man zusammen mit einem Schalter, und das schwarz-rote Kabel mit einem Taster und …«
»Kriegst du hin, Süße. Bestimmt.«
»Wieso ich? Die Autoknackerei war deine Idee.«
»Hab ich den Schlüssel verschusselt?« Jule hob eine Augenbraue und Ewa verstummte. »Siehste.« Verbissen hantierte sie weiter. MacGywer, gibst du zufällig Workshops an der VHS?
»Sag mal«, unterbrach Ewa irgendwann die Stille. »Warum liest du eigentlich keine Fanpost?«
»Was?« Jule sah auf. »Wie kommst du jetzt da drauf?«
»Ganz einfach. Ich langweile mich. Also musste ich an die vielen geilen Briefe denken, die ich lesen würde, wäre ich nicht hier, sondern in meiner Garderobe. Verstehst du?«
»Aha.« Frauenlogik. Gut, dass ich gefragt habe.
»Ist übrigens voll süß«, erzählte Ewa weiter in schwärmendem Ton. »Die da draußen schicken Zeug ohne Ende. Hätte ich niemals erwartet, aber nach dem Interview mit Alex hab ich nachgefragt. Die Briefe landen in der Poststelle. Deine Kiste steht da noch.«
»Aha. Und?«
»Würde mich interessieren, ob du auch nur Post von Mädels kriegst. Lauter Umschläge in violett. Total heftig. Weißt du, bei mir legen sie Fotos rein, Freundschaftsbändchen, Zeichnungen, Boxershorts, oder die laden mich in ganz Deutschland zu irgendwelchen Gay-Partys ein und …«
»Bitte?« Jule rutschte um ein Haar die Nadel aus den Fingern.
»Keine Panik. Ich geh da ja nicht hin. Aber die Boxershorts waren geil. Passen sogar.« Ewa entpackte den nächsten Schokoriegel. »Also? Schieß los! Warum ignorierst du die Briefe?«
»Fanpost ist Atommüll.«
»Jule!« Schockierter Anpfiff.
»Was denn?« Nöhlige Antwort. »Das Zeug verstrahlt dich total, wenn du dich damit abgibst, und irgendwann macht es dich krank. Glaub mir, Fans sind unberechenbar. Erst pushen sie dich, dann schubsen sie dich. Es sind nämlich nicht alle nett, Ewa. Und ob du immer herzensgut lächelst und denen am Ende noch zurückschreibst, dankt dir kein Schwein.«
»Oh«, kam leise von Ewa. »Das klingt irgendwie … verbittert.«
»Wenn du meinst.« Jule wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und stocherte weiter. »Mach deine eigenen Erfahrungen, Ewa. Ich hatte meine bereits. Genügt mir.«
»Sagst du deshalb in jedem Interview was anderes?«
Jule hielt inne. »Woher weißt du das?«
»Ich … also … ich … ich hab dich gestern … gegooglt.«
»Nicht dein Ernst, Fräulein!«
»Sei nicht sauer, bitte. Ich war eben neugierig. Krass, was man über dich alles findet. Abschluss mit Auszeichnung, und sofort hattest du deine erste Musicalrolle. Hauptrolle sogar. Du warst in Wien, in London und …«
»Ja. Und?«
»Richtig geil. Nur bei Steckbriefen über dich blickt kein Mensch durch. Mal ist deine Lieblingsfarbe grün, dann grau, wo anders gelb. Lieblingstier schwankt zwischen Erdmännchen, Elefant und Schmetterling, oder du faselst was von Flamingos. Mal magst du Rotwein, dann Erdbeereistee, und irgendwo stand, du spielst Golf.«
»Golf war gelogen.« Jule schluckte. Himmel, was soll diese Scheiße denn schon wieder? Viel zu deutlich spürte sie Ewas bohrenden Blick. Die Bogacz war im Verhörmodus. Mal ohne Wodka. Wirkte trotzdem. Kacke. »Damals, der Journalist, der erzählte was von seinem Handicap, weißt du? So ein Orlando-Bloom-Typ, der …«
»Sekunde«, fiel Ewa ihr ins Wort. »Du redest Stuss, weil du scharf bist auf den Pressefutzi?«
»Nur beim Golf-Interview. Ich schwöre. War Mist.« Schon vergeben, der Schnuckel. Pech. »Alles andere war mein Ernst.«
»Echt? Hört sich extrem sprunghaft an. Oder schizo.«
»Ich nenne es facettenreich, flexibel und clever, Bogacz.« Jule fuhr aus der Hocke hoch. »Weil ich nämlich keine Lust habe, dass sich irgendwer da draußen ernsthaft einbildet, mich zu kennen. Es ist unser Job, den Menschen etwas vorzuspielen. Irgendeine Rolle und Figur. Gleiche Optik, gleiche Stimme, aber innen drin ticken wir komplett anders. Du bist nicht Viola.
Weitere Kostenlose Bücher