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Violett ist nicht das Ende

Violett ist nicht das Ende

Titel: Violett ist nicht das Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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OP 2, melden Sie sich einfach am Empfang. Wenn Sie Bock auf eine Beerdigung haben, kein Ding. Buddeln wir Ihren Wurm eben irgendwo ein und Sie sagen feierlich Tschüss.«
    »Jule …«
    »Und dann eierst du mit dem kaputten Ding in deinem Bauch nach Hause und vor der Tür liegt dein Amazon-Päckchen. Juhu, endlich, das Babyphone ist da. Das Superschnäppchen, 54 Euro 95, drei Jahre Garantie, da freut sich der Papa. Kannste jetzt zurückschicken mit dem Vermerk Empfänger-unbekannt-verstorben, aber ich hab’s in die Tonne getreten, mit diesen beschissenen Ich-werde-Supermutti-Büchern und …«
    »War er da?«
    Jule hob den Kopf. »Wer? Ach so, er … Ne, Pech auch. Der saß im Flieger nach Tokio, drei Wochen Geschäftsreise. Super-Timing.«
    »Aber du«, fragte Ewa. »Was hast du dann …«
    Was wohl. »Ich hab mir eine Flasche Martini reingebraten, bin zum Theater, Pfefferminzbonbon rein und ab auf die Bühne. War geil. Standing ovations. Keiner hat gemeckert. Nicht mal im zweiten Akt, als ich den Papp-Pfeiler halb umgenietet habe und voll den Textdreher drin hatte, am Schluss, bei …«
    »Jule …«
    »Was?«
    »Du bist aufgetreten, obwohl du gerade …«
    »Richtig, Bogacz. Na und? Futsch, aus, hinüber. Sollte nicht, wollte nicht, ist er eben krepiert, der Drops. Mir doch scheißegal! Ey, der hat schon gewusst, warum er lieber abkratzt, bevor er mich als Mutter kriegt, eine selbstsüchtige Kuh, die …«
    »Jule, es war dein Kind!«
    »Stand überall drauf, korrekt. Auf jedem grisseligen Schnappschuss. Willst du mal sehen?«
    Ewa wurde blass. »Du-du hast die … dabei? Also … immer?«
    »Hinten bei den Kassenbons, macht den Geldbeutel dicker. Sieht nach mehr Kohle aus. Clever, was? Warte.« Jule nestelte in ihrer Handtasche, fand die Ultraschallbilder und präsentierte sie. »So, hier, bitteschön, drei Stück. Und, was sagst du? Süß, was? Schnöde Kaffeebohne die erste, da verkrüppeltes Gummibärchen und hier noch verreckter Zwerg die letzte!«
    »Jule!« Ewas Stimme hallte nach in der Limo. »Boah, musst du so … kalt, und so … ich … kannst du nicht …«
    »Nein, kann ich nicht, Herrgott noch mal!« Scheppernd knallte die Dose gegen Mahagoni.
    »Hast du mit jemandem … darüber … geredet, Jule?«
    »Pfff. Mit wem denn? Ich war in Wien.«
    »Aber diese Seelsorger-irgendwas, die dir der Arzt …«
    Jule lachte auf. »Ja glaubst du denn, ich lege mich bei einer wildfremden Schnepfe auf die Couch und lasse mich von der zusülzen? In lahmarschigen Ösideutsch? Joar oarg, Ihr Butzerl, draufgangn, aber göh, amol wird’s scho werdn? Pfff. Im Leben nicht.«
    »Aber warum hast du nicht wenigstens auf der Arbeit …«
    »Smalltalk in der Maske? Ach übrigens Petra, stell dir vor, ich Hausfrauennull hatte tatsächlich mal nen Braten in der Röhre, einen kleinen Untermieter. Aber ab heute, du, da färbste mir die Fransen schwarz. Ich bin jetzt offiziell ne Mami von einem toten Teil, ist irgendwann krepiert in mir, ich hab’s vermasselt, ich …«
    »Aber du bist doch nicht schuld«, fuhr Ewa sie an.
    »Natürlich hab ich’s verkackt. Ich, ich, ich! Und zwar so richtig, voll versagt. Ich bin schuld, dass …«
    »Bist du nicht!«
    »Wer denn sonst? Wer hatte dieses Ding drin – wer?«
    »Es ist nicht deine Schuld, Jule.«
    »Und ob. Es war verflucht noch mal mein Job, dass es dem gut geht, und er irgendwann heil da rauskommt und …«
    »Es ist nicht deine Schuld.«
    Jule verdrehte die Augen. »Ich hab gespielt, Ewa. Nonstop. Wenn ich mich geschont hätte, weniger Aufführungen, dann …«
    »Es ist nicht deine Schuld, Jule.«
    Sie schluckte. »Aber ich wollte nie … ein Kind, versteh doch. Und dann hab ich … ich bin … und es wollte nicht. Der Zwerg muss das alles gespürt haben. Dass ich zweifel, an mir, an ihm und deshalb ist er …«
    »Du bist nicht schuld, Jule.«
    »Aber ich …«
    »Du bist nicht schuld.«
    »Aber …«
    »Jule, hör mir zu: Du bist eine wundervolle Frau.«
    »Aber ich hab ein Kind verloren.«
    »Ich weiß.«
    »Mein Kind!«
    »Komm her …«
    Kaum schlang Ewa die Arme um sie, brachen die Dämme. Zum ersten Mal platzte es heraus. Alles, was sich so lange im Verborgenen angestaut hatte, bahnte sich einen Weg ins Freie, so heftig wie eine Springflut, die sich nicht bändigen ließ, nicht mehr … Jule schluchzte, laut und hemmungslos. Ihre Finger krallten sich in Ewas Kragen, suchten Schutz, suchten Halt, einen rettenden Platz zum Ankern. Tränen rannen ihr über die Wangen,

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