Violett ist nicht das Ende
Meerwasserkristallblau, und guck, hier, siehst du’s? Geil!« Ewa gluckste. »Ein Grübchen.«
»Ey, spinnst du?«
»Kein Stück. Polier deine Brille, Jule, denn ich schwör dir, das da ist ein Grübchen. Und weißt du warum? Weil dein Sternchen nur das Süßeste von dir abgekriegt hat und es dem da gut ging in deinem schönen Bauch. Junge oder Mädchen?«
»Keine Ahnung.« Wieder Schulterzucken. »War noch zu früh um …«
Ewa legte den Kopf schräg. »Was denkst du?«
»Junge«, rutschte es ihr über die Lippen.
»Kleiner Prinz.« Ewa lächelte. »Geht klar. Name?«
»Äh, na ja, Junge bedeutet dann wohl Constan…«
»Auf gar keinen Fall! Der Name passt null. Guck doch mal genau hin. Für dein Sternchen, du, da brauchen wir was Vernünftiges. Gut, Augen zu. Was ist dein erster Gedanke? Aus dem Bauch raus.«
Jule gehorchte und schluckte. »K-Krümel?«
»Krümel?«
»Tut mir leid, ich …«
Ewas Miene hellte sich auf. »Krümel klingt pfiffig. Kleiner Wirbelwind. Also ich find’s klasse, richtig süß.«
»Echt jetzt?«
»Gefällt ihm, jede Wette. Wann hatte Krümel Termin? Weißt du das noch grob?«
»17. November.«
»Skorpion? Perfekt. Macht Krümel sehr sympathisch. Die haben Pfeffer, Leidenschaft. So wie wir zwei, Jule.« Ewa rempelte ihr mit dem Ellbogen vergnügt in die Seite. Dann zog sie die Beine an, legte das letzte Ultraschallbild auf ihre Knie und stubbste es kurz mit der Fingerspitze an. Ein Räuspern. »Okay, Krümel, wo auch immer du jetzt bist, dann pass mal auf. Ab sofort ist der 17. November Krümeltag. Den markern wir uns ganz fett im Kalender an. Denn weißt du was? Der Tag gehört dir. Da bist du Programm und wir freuen uns darauf. Morgens zaubert nämlich die Ewa das geilste Frühstück von Welt und bringt es deiner wundervollen Mama ans Bett. Ich schwöre dir, am Krümeltag wird die so richtig verwöhnt. Und danach machen wir irgendeinen Ausflug zusammen, Zoo oder so, was verdammt Nettes, was dir auch gefallen hätte. Dabei denken wir ganz fest an dich, vielleicht schweigen wir ne Runde oder reden über dich. Oder wir lästern und lachen uns Schrott über andere Mamis, weil die da zwar ihr Kind rumschrieben, aber weil nur wir wissen, dass du der coolste Kerl von allen warst, Krümel. Und deine Mama darf traurig sein oder auch lachen oder fluchen, kennst sie ja. Das muss sie einfach.
Weil es ihr nämlich wehgetan hat, Krümel, dass du nur so kurz bei ihr warst. Dass es nicht geklappt hat mit euch, obwohl deine Mama so mutig war und sich auf dich eingelassen hat und sogar ihr ganzes Leben für dich umgekrempelt hätte. Aber dafür könnt ihr beide nichts. Niemand hat schuld. Schuld ist Scheiße, Krümel, richtig bäh, da lassen wir schlauen Köpfe die Finger von. Deine Mama auch. Du, die ist echt eine Kämpferin. Die hat all ihre Tränen für sich behalten, damit niemand merkt, wie wahnsinnig gerne sie dich kennengelernt hätte. Hammer, oder?
Dabei erwartet das niemand von ihr, nicht mehr. Du nicht und die Ewa auch nicht. Deine Mama darf auch mal schwach sein, wie wir alle. Die muss sich jetzt um sich kümmern, um ihre tausend Talente und die hat sie. Und deshalb muss sie wieder nach vorne gucken, ihr Ding durchziehen, Krümel, und dich loslassen, Stück für Stück. Das muss sie einfach. Dabei helfe ich ihr, so gut ich kann. Einverstanden? Aber keine Sorge. Du warst und bist und bleibst ein Teil von ihr. Und das kann euch niemand nehmen. Bei deiner Mama hast du immer einen festen Platz im Herzen und ey, Krümel, wir zwei Süßen wissen, dass das der tollste Platz ist, den man sich nur wünschen kann. Denn wenn eine so umwerfende Frau wie Jule liebt, boah, dann strahlt die Welt und …«
»Ewa«, flüsterte Jule.
Ewa sah auf. »Äh … ja?«
»Wie … machst du … das?«
»Was?«
»Du bist … einfach … ich … ich meine … du bist … also …«
»Was denn?«
»Danke …«
Ein einzelnes Wort. Ein einfaches Wort. Schon oft gesagt, sehr oft im Leben. Doch Jule spürte es. Noch nie hatte dieses eine Wort mehr Gewicht gehabt, mehr Geschichte und Erleichterung ausgedrückt, mehr Tiefe und Ehrlichkeit besessen als jetzt, in diesem Moment, wo sich ihre Blicke trafen, ihre Hände sich fanden und verschmolzen, zu einem Wir.
Danke, für alles.
KAPITEL 10
Die Minuten verstrichen. Schweigend polierte Jule die Tränenspuren von ihrer Brille und versuchte, ihre aufgewühlten Gedanken zu sortieren. Durchatmen. Irgendwann griff sie nach den Ultraschallbildern und
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