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Violette Bescherung

Violette Bescherung

Titel: Violette Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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krallte. Ruppig dirigierte sie Ewa rückwärts und züngelte sie hemmungslos gegen den Kühlschrank. Keine Unterbrechung, kein Nachbar, nicht jetzt. Sie wühlte in Ewas Fransen, küsste Wange, Nase, Hals, irgendwie alles gleichzeitig, so viel Ewa, wie eben ging. Wieder Geklingel. Jule presste ihren Oberschenkel in Ewas Schritt, eine Hand gleich mit, und nagelte Ewa da irgendwie fest, damit … Hundegebell. Scheiße.
    »Du bleibst hier«, brüllte Jule. »Bei Fuß!«
    Doch selbst dieses scharfe Kommando wirkte bei Ewa nicht. Die drängte Richtung Flur, zum Hund, und Jule stemmte sich dagegen mit aller Kraft, um …
    »Jule – hey!« Eisern schlossen sich Ewas Finger um Jules Handgelenke und rüttelten sie einmal kräftig durch. »Fang dich wieder, okay?«
    »Aber ich … wir …«, stotterte Jule, bis ein Kurzkuss jeden weiteren Protest erstickte.
    »Ssscht.« Ewas Augen funkelten sanft. »Alles gut. Kein Drama.«
    Stimmt. Eher ein Katastrophenfilm mit lustzerfetzender Endzeitstimmung. »Aber wir sind mittendrin, also wir waren … und es war gut, geil, verdammt geil und …«
    »Ssscht. Und es wird gleich noch besser, ja?« Ewa lockerte den Griff. »Kurze Pause. Ich sorge lediglich für Ruhe und bin sofort zurück.« Sie hauchte einen Kuss auf Jules Lippen und grinste, so Backmatschverschmiert zum Anhimmeln süß. »Mit Teig an den Fingern wären wir ohnehin nicht weit gekommen.«
    Schwupp, weg war sie. Jule sank keuchend gegen den Kühlschrank und zählte. Zahlen, Tonscherben, geteert-gefederte Nachbarn, weiß der Geier, bis die Lust ihre Gehirnzellen wieder freigab. Die formierten sich um Chor und sangen glockenhell nur einen Namen. Ewa … Wahnsinn. Niemals hätte Jule es für möglich gehalten, dass jemand sie so dermaßen aus der Spur schleudern konnte. Immer wieder. Manchmal genügte schon ein einziger intensiver Blick, um Jule in Wallung zu versetzen. Ewas Küsse machten süchtig und nach jeder stürmischen Nummer gierte Jule schon junkiemäßig nach dem nächsten Trip. War das normal? Keine Ahnung. Dieses Neuland eroberten sie schließlich gemeinsam. Frau mit Frau, und gütige Göttin, was hatten sie für ungeahnte Talente auf diesem Gebiet. Ewas letzte Umzugskartons dagegen entpacken sie wohl nie. Neben Dreharbeiten und Liebesleben blieb für Banalitäten keine Zeit.
    Zeit … Verdammt. Jule blickte alarmiert zu den blinkenden Ziffern auf der Mikrowelle. Die Bescherung rückte unaufhaltsam näher. Viel gerissen hatten sie noch nicht. Nichts war gebacken, nichts war geschmückt, nichts … Da erschien Ewa im Türrahmen. Ihre Miene war schwer zu deuten. Ihr Verhalten sprach dagegen Bände. Ewa zerwuschelte sich die teigverklebten Fransen und kaute am Daumen. Hurgx.
    »Shit.« Jule trocknete sich schnell die frischgewaschenen Hände. »Ist was passiert? Wer war es denn?«
    »Micha. Von oben. Betrunken mit Baum.«
    »Echt?« Jule verrutschte die Tonlage. »Also haben wir eine Tanne?« Unglaublich. Mit geöffnetem Mund starrte sie zu Ewa, die leicht nickte. »Krass. Wo hat er die her?«
    »Gefunden. Zufällig. Er wollte noch mehr Fackeln holen und ist quasi drüber gestolpert.«
    »Irre. Der hat wirklich im Park … Sekunde. Steht das Ding jetzt in unserem Flur?«
    »Jep.«
    »Boah ne, Ewa. Den habe ich vorhin erst gewischt.« Jule stürzte zur Tür. »Der nadelt uns doch alles voll und … oh.«
    Jule schluckte schwer. Denk positiv, Schweitzer. Von diesem Baum ging keine Gefahr aus. Die Tanne war tot. Die Tanne war nackt. Keine einzige Nadel bedeckte die ausgedörrten Zweige, von denen verbeulte Red-Bull-Dosen baumelten.
    »Ist ihr WG-Baum von letztem Jahr«, sagte Ewa matt. »Der gammelte offenbar noch unter Tüten in einer Ecke auf dem Balkon rum. Micha war der Meinung, er könnte uns irgendwie nützen für unsere ach so hippe Mottoparty.«
    Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, du taugst höchstens noch zum Gartenzaun. Ein tragischer Anblick. Auch der Kleine schien zu trauern. Er schlich mit hängenden Ohren näher, schnupperte am Stamm, hob sein Bein, um – Nein!

Freitag, 23:57 Uhr

    Psssch … Der Kleine pischerte ausgiebig gegen das hellblaue Rennrad vor dem Haus. Jule stützte sich auf die Knie und sah ihm keuchend zu. Ihre Wangen glühten. Ihre Muskeln brannten und kribbelten so höllisch, als verliefe zwischen Oberschenkeln und Waden eine Ameisen-A3. Was für ein mörderischer Sprint eben. Olympiareif. In allerletzter Sekunde hatte sie den Wuffi an sich gerissen, weg vom Baum, weg vom frisch geputzten

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