Violette Bescherung
je ein Backabenteuer gegeben zur Rettung der Welt und … ach, wurscht. Jule erhob sich und rüttelte hochkonzentriert das weiße Pulver in die Schüssel.
Ewa gluckste. »Summst du gerade ernsthaft ›Leise rieselt der Schnee‹?«
»Tschuldigung.« Jule räusperte sich. »War keine Absicht. Schau mal. Findest du meine gefühlten 500 Gramm korrekt so?«
»Perfekt.«
Zur Belohnung gab es wieder ein Bussi, dieses Mal auf Jules Nasenspitze. Alle weiteren Schritte gingen ratz-fatz, gewissermaßen klatsch auf patsch. Im intuitiven Schnellverfahren stürzte Ewa Zutat um Zutat in die Schüssel. Ihre Hände bewegten sich krakengleich, und selbst Eier trennte sie binnen Sekunden. Schalenfrei. Beeindruckend. Ein Genie bei der Arbeit. Entsprechend eingesaut war das Setting. Jule wischte robinmäßig mit einem feuchten Lappen den Handgriffen hinterher, die Zuckerspur vom Boden, die Eischlieren vom Tischbein, die …
»So. Ich wäre soweit«, kam triumphierend von Ewa. »Rum?«
»Gern.« Strahlend schmiss Jule den Lappen beiseite und holte Gläser. »Mit Eis oder ohne, Süße? Deine angefangene Cola müsste noch im Kühlschrank …«
»Pur«, unterbrach Ewa. »Für den Teig.«
»Oh. Ach so.« Schweigend legte Jule die Strohhalme wieder zurück in die Schublade und inspizierte die Speisekammer. »Im Angebot hätten wir … tja. Havanna Club oder Bacardi?«
»Keinen billigen Fusel?«
Abgesehen vom polnischen Schubrrr-Schädelspalter, brrr, nö. »Ewa, meine Hausbar ist fuselfrei. Noch haben wir einen Job und … oh. Ich korrigiere: nur Havanna, Bacardi leer. Hilft dir Gin?«
Ewa zog die Nase kraus. »Dieses bittere Zeug?«
»Gin trinke ich im Sommer extrem gerne, Fräulein. Du nicht?«
»Nein. Gib her, ich verback ihn.«
»Und das schmeckt?«
Ewa hob die Schultern. »Muss ich eben Zucker nachkippen.«
»Aber wir haben doch Rum.«
»Jule, ich verdampfe in Keksen keinen fünfzehn Jahre alten Havanna.«
»Er ist doch schon bezahlt, Ewa. Und … egal. Mach wie du denkst.« Ooommm. Klappe zu. Nicht ihre Baustelle, nicht ihre Plätzchen. Nur schade um den Gin, den Ewa großzügig in die Schüssel gluckerte und mit drei Tütchen Vanillezucker geschmacklich auslöschte. Jule steuerte den Stuhl an, jedoch hielt Ewa sie am Hosenbund zurück.
»Hiergeblieben.« Ewa deutete auf die Schüssel. »Jetzt wieder du. Greif zu.«
»Äh …« Skeptisch musterte Jule das Zutatenchaos. »Da rein? Mit den Fingern?«
»Genau. Alles feste zusammenmatschen.«
»Nicht nötig.« Jule lächelte und reckte innerlich die Siegesfaust. »Schweige und staune, Fräulein: Ein Handrührgerät mit Quirlstängeln habe ich.«
»Super. Hilft uns Null, denn dies wird ein Knetteig, Jule.«
Aus der Siegesfaust erhob sich der Mittelfinger. Mann-Mann-Mann, ey, dann eben nicht. Sehnsüchtig schielte Jule zum Rotwein. Bekam sie die Restpfütze wenigstens im Anschluss als Goodie? Hoffentlich. Sie putzte sich prophylaktisch die Nase, wusch die Hände, krempelte ihre T-Shirt-Ärmel bis zur Schulter und dehnte kurz ihre Finger, jeden einzeln.
»Süße, nur zur Sicherheit.« Jule rückte an ihrer Brille. »Ist es egal, ob Dotter gleich am Anfang platzen oder zählt beim Mischen Taktik? Zum Beispiel erst das Mehl über die Gin-Lache zum Zucker, damit der Teig besonders fluffig …«
»Nicht denken«, antwortete Ewa, im beseelten Tonfall einer Kunstlehrerin, legte grinsend die Hände an Jules Hüften und kuschelte sich von hinten ran. »Mach sie platt. Gnadenlos.«
Rohe Eier, rohe Gewalt. Prinzip kapiert. Nur kostete es Jule gewaltig Überwindung, als hätte Ewa ihr befohlen, eine Nacktschnecke zu kraulen. Widerstrebend tauchte sie ihre Finger in die Schüssel. Hurgx. Level eins wäre geschafft. Sie fingerte los. Cremegleich schmierte sich die weiche Butter um ihre Hände. Zuckerkrümel rieben sich auf ihrer Haut, hartnäckig wie Sandkörner am Strand, während die glühende Abendsonne langsam im Meer verlosch und sich ergoss wie Dotter im Gin mit leisem Schmatzgeräusch, das erinnerte an … ach du Scheiße! Blut schoss Jule in die Wangen. Stopp. Zu spät. Das Kribbeln in ihrem Schritt strömte lavaartig aus und in ihrer Brust wummerte es los. Schluck. Irgendwie war’s geil. Zu geil und Ewa stand zu dicht, viel zu dicht und es machte sie nervös, verflucht nervös, wie sie da so ihre Finger bewegte in der glitschig-feuchten …
»Warum kennst du unsere Nachbarn?«, rutschte es ihr schroff heraus, als sie ihre abdriftenden Gedanken zurückpfiff.
»Ist das
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