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Violette Bescherung

Violette Bescherung

Titel: Violette Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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Ewa lief tatsächlich los. Jule folgte notgedrungen. Schweigend schlenderten sie durch die Straßen.
    Ganz ehrlich? Fetzte null. Höchstens im Kosmos von Fiffi, der freudig alle Autoreifen anschnüffelte und an jeder Laterne einen Pipitropfen platzierte. Jule schwitzte sich dagegen einen ab in dem viel zu warmen Pulli und lechzte nach einem kühlen Lüftchen. Auf die eisige Stimmung hätte sie dagegen gerne verzichtet. Eine bedröppelte Ewa mit hängenden Schultern und Schlurfschritt schlug ihr aufs Gemüt. Weihnachtlicher Elan? Verpufft. Verständlich. Für eine Großstadt war Berlin beeindruckend grün, nur nadelte es in der Wohngegend nirgends. Fieberhaft hirnte Jule über Plan B. Eine künstliche Tanne bei Amazon ordern? Lieferzeitpunkt: in drei Wochen. Ausgeschmücktes Lügenmärchen für Paulina? Du, der ist freaky drauf, der Weihnachtsmann. Hat er uns glatt eine Palme vorbeigeflogen … Sinnig verpackt schluckten Kinder doch alles. Zauberpalme, pssst, weißte Bescheid. Die kriegen nur wir für unsere Special Weihnachts-Edition. Und der Knirps würde erwidern: Mag keine Palme, will Baum. Tja. Im schlimmsten Fall konnten Kinder gnadenlos scheiße ehrlich sein. Selbst wenn Paulina Palmen dufte fand – eine Palme fehlte ihnen genauso wie eine Tanne. Zurück auf Start.
    Über ihre Köpfe rumpelte eine S-Bahn, und der Kleine setzte in der Unterführung seine Duftmarken auf Graffitis. Sollten sie nicht allmählich wieder umkehren? Herr, mach hin. Zeichen und Baum. Jetzt! Ein letztes Stoßgebet voll Inbrunst, da fiel Jules Blick auf ein schmiedeeisernes Tor, umrankt von dichtem Efeu. Schlagartig stellten sich die Härchen in ihrem Nacken auf. Herr, nicht dein Ernst. Es war absurd, kompletter Mist. Doch ganz objektiv betrachtet wuchsen hinter diesen Gittern hundertpro Tannen. Jule biss sich auf die Unterlippe und verlangsamte ihre Schritte.
    »Ewa, wollen wir …« Sie zögerte. »Sollen wir dort mal rein?«
    »Bist du irre?« Ewas Stimme klang schrill. »Nein!«
    »Gut.« Alles in Jule atmete auf, zumindest kurz. »Aber ich fürchte … was anderes finden wir nicht.«
    »Jule, ich gehe um kurz nach Mitternacht nicht auf einen stockdunklen Friedhof. Never ever!«
    »Wieso denn nicht?« Jule knuffte Ewa in die Seite. »Schiss vor Buffy?« Es hatte witzig klingen sollen, nur ruinierte ihr gepresster Unterton den Gag. Kacke. Wuchtig wie ein Triumphbogen ragte die meterhohe Eingangspforte in die Nacht. Mondlicht setzte das düstere Steinkreuz auf der Spitze gespenstisch in Szene. Friedhof. Ein flaues Gefühl nistete sich in Jules Magengegend ein. Geisterstunde. Grablichter flackerten und formten tanzende Schatten zu drohenden Gestalten. Schaurige Fratzen erhoben sich lautlos aus der Dunkelheit. Sie stierten aus blutunterlaufenen Augen, fletschten faulige Gebisse und gierten mit knochigen Fingern nach Leben, zum Annagen und Vernichten. Langsam. Qualvoll. Brrr. Ein eiskalter Schauer jagte über Jules Rücken und schüttelte sie. Tat irgendwie gut bei der Hitze, aber ne, ihren angespannten Nerven half es nicht.
    Sie räusperte sich gequält. »Gu-gut, also Folgendes: Ich ziehe mal eben am Tor und wenn es …«
    »Es ist zu«, sagte Ewa schnell. »Bestimmt.«
    »Genau. Sieh dir die Festung doch mal an. Fette Mauer, überall Stahlspitzen. Mit Räuberleiter drüberklettern is nich. Nur können wir danach wenigstens behaupten, wir haben es probiert.« Jule schob die Pulli-Ärmel hoch, marschierte im Stechschritt zu einem der beiden Nebentore, rüttelte kurz und … quietschend wich das Tor zurück. Fuck!
    In Sekundenschnelle war Ewa neben ihr. »Nie im Leben, Jule.«
    »O-offen.«
    »Aber Friedhöfe sind nachts dicht.« Ewa bebte. »Immer!«
    »Da-dachte ich auch.«
    »Ey, Schlamperei. Passt da niemand auf? Alle Gärtner gehören gefeuert, die komplette Verwaltung gleich mit. Fristlos. Was soll denn diese Scheiße? Sind die doof? So kann doch jeder reinspazieren und da sonst was treiben. Grabsteine umtreten, Figuren klauen, schwarze Messen feiern, Leichen ausbuddeln oder …«
    »Einen Baum ausgraben, zu-zum Beispiel?«
    Nach Jules Einwurf vergingen gefühlte Ewigkeiten, in denen sie sich einfach nur anstarrten. Jule kam es vor, als fixierte sie einen Spiegel. Im Schein der umliegenden Laternen leuchteten Ewas Wangen kalkweiß und in ihrem Blick blitzte Panik, die Jule im vollen Umfang teilte.
    »Nu-nur mal so … rein theoretisch«, beendete Jule die Stille. »Fällt ›Tanne entwenden‹ unter Diebstahl oder

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