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Violette Bescherung

Violette Bescherung

Titel: Violette Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Hueller
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Überschwänglich schmuste ihr Ewa einen Kuss auf den Mund. Hach, so schön war Geometrie noch nie gewesen. Sie zogen ihre Pullis aus, dopten sich mit Kaffee und werkelten los. Ewa lieferte die eckigen Teigvorlagen, Jule haute sie weihnachtlich in Form. Tolles Teamwork. Zu Tannen und Sternen gesellten sich noch Halbmonde aufs erste Blech, das sie einträchtig und mit einem triumphierenden Grinsen in den Ofen schoben.
    »Gut.« Jule wischte sich eine Strähne aus der Stirn. »Und wie weiter, Süße? Nächste Ladung?«
    »Zugucken.« Ewas Wangen glühten.
    »Äh … weil?« Seit wann musste man Kekse observieren? »Braunbruzeln können die alleine, soweit ich weiß. Wir müssen sie nur rechtzeitig wieder …«
    »Ssscht. So viel Zeit muss sein«, flüsterte Ewa. »Diesen Moment habe ich als Kind geliebt.«
    Vor dem Herd sank Ewa in den Schneidersitz und stützte ihren Kopf in die Hände. Gebannt stierte sie in die hell erleuchtete Röhre. Wie albern. Wie kindisch, aber … Eine warme Welle schwappte durch Jule. Dieser Anblick … aus vergangenen Zeiten im Hause Bogacz, die Jule nicht miterlebt hatte. Trotzdem sah sie den Moment wie ein altes Foto deutlich vor sich. Klein-Ewa. Vor den Fenstern tobte eisig der Schnee, während in der behaglichen Küche ein knopfäugiger Knirps in Latzhose träumend die Welt um sich herum vergaß und auf die ersten Weihnachtskekse der Saison wartete und hoffte. Die Vorboten für ein Fest voller Liebe. Wie viel Ruhe Ewa ausstrahlen konnte. Unglaublich. Unbeschreiblich … schön. Wunderschön. Jules Herz wummerte heftig, als sie sich ganz dicht neben Ewa auf die Fliesen hockte. So verweilten sie, hypnotisiert und high wie Kids vor einem Zeichentrickfilm, bis Keksduft den Raum erfüllte. Jule schnupperte und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Butterplätzchen. Weihnachten wie früher.
    Ewa öffnete den Backofen einen Spalt. »Die sehen gut aus. Oder?«
    »Total«, mutmaßte Jule einfach mal, denn sie war aktuell blind hinter den beschlagenen Brillengläsern. Ein Grund, warum ich nie backe.
    Schwung kam ins Geschehen. Mit einem Geschirrtuch zog Ewa klappernd das Blech heraus, schubste die Kekse herunter und auf einen Teller und …
    »Fuck!« Sie fluchte auf.
    »Was ist?« Alarmiert eilte Jule zu ihr. »Kaputt? Finger verbrannt?«
    »Zunge.« Ewa lächelte kurz gequält, doch dann kaute sie geradezu gierig weiter. »Aber sie schmecken. Probier mal.«
    Gehorsam pustete Jule einen Stern kühl, biss einen Zacken ab und … boah krass. Was auch immer Ewa da gefühlt reingebacken hatte, Butterplätzchen à la Bogacz hatten Suchtpotenzial. Jule grinste Grübchen und lobte mit Küsschen. Anschließend noch mit einer Runde Wodka, Prost. Ewas Zunge brauchte Kühlung und Etappenziele mussten gefeiert werden. Jule wühlte in den Einkauftüten nach den Zuckerstreuseln.
    »Darf ich die noch draufstreuen, Süße?«
    »Alles, was du willst, Jule.«
    Zu schön. In ihrer Backstube stieg nicht nur die Hitze, sondern auch die Stimmung. Ihr Durchschnittsalter sank dagegen. Himmel, was waren sie doch erwachsen. Ewa zeichnete J+E auf die mehlige Arbeitsfläche, Jule rieselte Zuckerstreusel als Herz daneben. Dann knabberten und knutschten sie einen Keksmond zwischen ihren Lippen nieder. Irgendwann shoppte Jule ein ›Best of Christmas‹-Album auf ihr iPhone. Widerlich. Diese abgenudelte Kitschmukke, die statt Besinnlichkeit eher Aggressionen weckte. ›Driving home for Christmas‹, stündlich im Radio, ey, da kotzte jeder Heimkehrer auf überfüllten Autobahnen doch den Takt mit. Nur brauchte es im Kampf gegen ihre Müdigkeit schwere Geschütze. Headbangend groovten sie vor dem Herd zu ›Let it snow‹ und schmetterten dann Mariah Carey in Grund und Boden, mit Teigschaber und Pinsel als Mikros. ›All I want for Christmas is you …‹ Schubidu. Diesen Text konnte man so stehen lassen. Der Plätzchenberg wuchs, der Wodkastand in der Flasche fiel. Egal. Stößchen, rein das Zeug. Jule fühlte sich so beschwingt wie lange nicht mehr. Sie hätte Bäume ausreißen können und … ach verdammt. Apropos Baum.
    »Womit schmücken wir unsere Tanne, Süße?«
    Ewa gluckste. »Am besten mit Duftbäumen.«
    »Oh. Meinst du, er mufft noch?”
    Gute Frage. Im Wohnzimmer schnupperten sie kurz nach dem Rechten und waren geplättet. Die aufdringliche Kompost-Müllsack-Note schien tatsächlich verflogen. Sensationell. Eine Nacht voller Wunder.
    »Perfekt.« Ewa rieb sich die Hände. »Wir haben eine Lichterkette und

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