Violette Bescherung
Ewa umrundete die Tanne. »Irgendwie. Glaub ich.«
»Mein Held«, seufzte Jule. »Du bist toll.«
»Nein, du bist toll, Jule.« Ewas Knopfaugen funkelten sie an. »Wie taff du das durchgezogen hast. Mega. Die Nummer im Kompost, die …«
»Ssscht.« Schnell presste Jule den Mund auf Ewas Lippen und knutschte gegen den Horror an. Oh, möge sich auf ewig ein Schleier des Vergessens über diesen Ekelmoment in ihrer Biografie legen. Selektive Alzheimer. Bitte pronto. Half dabei Rotwein? »Wollen wir wieder in die Küche, Süße?«
»Mir wäre eher nach Bett.« Wie ein streichelbedürftiges Kleinkind schmiegte sich Ewa an sie und unterdrückte mehr schlecht als recht ein Gähnen.
Bett … Reimte sich nicht nur auf nett, sondern löste prompt eine Wonnelawine aus. Kuscheln, schmusen, streicheln, eng umschlungen eindösen, herrlich. Gedankenverloren zupfte Jule ein verkrustetes Teigklümpchen aus Ewas Fransen. »Vorher könnten wir duschen gehen.«
»Oh ja.« Ewa schnurrte. »Zusammen.«
»Du seifst mich ein?«
»Und du mich. Jule, und vor dem Schlafen könnten wir noch …«
»Kurze Massage mit meiner Bodylotion? Die so duftet nach …«
»Himmlisch.« Ewa schnaufte genießerisch in Jules Halskuhle.
»Süße?«
»Ja?«
»Damit kommen wir nicht durch.«
»Ich weiß.«
»Weiter im Text? Dazu doppelter Espresso?«
»Eher zwei.«
Händchenhaltend schlurften sie zurück aufs Schlachtfeld. Jule hantierte an der Kaffeemaschine, knurrte kurz und warf sie geistig gegen die Wand. Unfassbar. Dieses Wunderding beherrschte das komplette Kaffee-Universum und brühte im Nu jedes gewünschte Heißgetränk in seiner leckersten Form. Grundsätzlich. Nur blinkten bei akutem Koffeinnotstand immer drei Lämpchen gleichzeitig. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Wassertank auffüllen, Bohnen nachlegen, Behälter entleeren. Neue Maschine kaufen, ergänzte Jule im Stillen und fügte sich missmutig den Anweisungen. Ewa schwang sich verkehrt herum auf einen Stuhl, parkte den Kopf auf der Lehne und ließ schlaff die Arme baumeln. Ein herzhafter Gähner schüttelte sie.
Mist. Gähnen steckte an. Mit geschlossenen Augen fahndete Jule in sich nach Motivation. Keine Chance. Die Luft war raus. Im hohen Alter von dreißig Jahren rockte man nicht mehr leichtfüßig eine Nacht durch. Irgendwann war einfach Schicht im Schacht. Nur tickte die Uhr. Ihnen blieben in etwa sechs Stunden für die perfekte Bescherung. Plätzchen backen, Essen vorbereiten, Geschenke einpacken, Raum dekorieren, Baum schmücken. Schmücken? Dekorieren? Womit, Schweitzer? – Ach Schnauze. Diese Platte ödete sie gewaltig an. Sie hatten einen Baum. Eine echte Tanne im Mai. Alle weiteren Aufgaben waren dagegen doch pillepalle, oder? Sofern Ewa wieder mitspielte. Ohne Batman wuppte Robin in der Küche nichts. Jule schaltete den Backofen ein und holte den Teig aus dem Kühlschrank.
»Hier.« Sie stellte Ewa die Schüssel hin. »Und Action. Ausrollen. Ausstechen.«
Ewa salutierte mit dem Elan eines neunzigjährigen Kriegsveteranen. »Nudelholz?«, fragte sie und schickte ein Gähnen hinterher.
»Äh …« Jule kaute auf ihrer Unterlippe. Nudelholz . Vor diesem Unwort hatte sie sich schon die ganze Zeit gefürchtet. Wieder eine Dreckshürde, ausgerechnet am toten Punkt. Den mussten sie überwinden. Irgendwie. »Nimm … nimm einfach …« Sie hirnte auf Hochtouren. Sie griff zum Rotwein und gluckerte sich die letzte Pfütze in einem Zug rein. »Hier. Flasche. Und zum Ausstechen benutzen wir … « Sie riss einen Schrank auf. »Glas. Rund. Motiv wäre dann … äh. Sonne?«
»Und wieso nicht Mond?«
»Sonne, Mond, heiliger Frisbee, mir doch pups, Ewa. Back irgendwas. Hauptsache, du backst.«
»Einen Weihnachtsbezug brauchen die Formen aber schon.«
»Meine Güte. Dann matsch doch aus Dreiecken den Eiffelturm zur Adventszeit.« Jule verdrehte die Augen. »Kackegal.«
»Du bist genial.« Ewas Blick hellte sich auf.
»Fräulein, verarschst du mich jetzt?«
»Ne. Schau mal.« Ewa sprang auf. Schwupp, war der Tisch eingemehlt, ein Teigklumpen mit der Rotweinflasche plattgewalzt und in Stücke geritzt. »Drei Dreiecke, die aneinander lappen, gehen doch als Tanne durch. Findest du nicht? Und aus diesen Quadraten könnten wir … hm.« Ewa kratzte sich am Kopf.
»Zwei aufeinander, leicht versetzt?« Jule fixierte die Mitte und rums, donnerte sie die Faust auf das Konstrukt. »Voilà. Stern.«
»Du bist der Hammer, Jule.«
Jep. So unheimlich war ich mir selten.
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