Violette Bescherung
klau…«
»Borgen«, stellte Ewa klar. »Nach dem Wochenende bringe ich ihn zurück. Wo ist das Problem? Merkt niemand. Mitten in der Nacht um Erlaubnis fragen, kann ich ja wohl schlecht.«
Diese Bogacz. Immer laut Langstrumpf-äh-Langfinger-Motto: ›Ich borge mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.‹ Nach Grundsatzdiskussionen stand Jule nicht der Sinn, denn zugegeben, Ewas Beute machte was her. Kerben zierten den Lattensitz aus lackiertem Holz und über die dunklen Kufen sprenkelten sich Rostflecken. Ein altgedienter Rodelschlitten wie aus Kindertagen, der tatsächlich selbst in ihr Wintergelüste weckte. Wann hatte Jule zuletzt einen Schneemann gebaut? Dämliche Quizfrage, Schweitzer. Seit Jahrzehnten weihnachtet es nicht mehr weiß. Tja. Tragisch, irgendwie.
»Und was ist in dem Karton?«
»Das müsstest du besser wissen als ich, Jule. Er gehört dir.«
Tatsächlich? Hm. Aha. Keinen blassen Schimmer, was da so alles auf dem Dachboden Staub ansetzte. Wichtig konnte es ja nicht sein und … Himmel, nein!
»Meine Fanpost?« Jule schluckte schwer.
»Genau. Ich hab kurz reingeguckt. Briefe ohne Ende, aber auch Päckchen in Geschenkpapier mit Schleifen.«
»Nun gut.« Jule hob die Arme. »Pul runter, was wir brauchen können. Der Rest wandert in die Tonne.«
»Jule!« Schockierter Anpfiff.
»Was denn? Ewa, du weißt, dass ich mir diesen Mist nicht mehr reinziehe. Stammt alles noch aus Musicalzeiten und …«
»Ja, ja, blabla«, fiel Ewa ihr ins Wort. »Fanpost ist Atommüll. Die Komplimente verstrahlen dich, ehe sie dich krankmachen. Richtig zitiert?«
»Exakt meine Meinung, ja.«
»Wieso hebst du die Post dann auf, wenn sie dich angeblich nicht interessiert?«
»Nicht angeblich. Ich scheiß drauf. Nur die Stofftiere soll ich meiner Mutter geben für den Kirchenbasar. Bei Gelegenheit.«
»Alles klar. Sortier ich raus. Darf ich ein paar Briefe lesen?«
»Mir wurscht. Ich mach Lametta.«
Da hatten sie also die Bescherung. Voll Unbehagen dachte Jule zurück an die Schreiben von diesen so genannten Fans, die einen mal hochjubelten, mal abwatschten. Glücksspiel. Russisch Roulette. Geschmeichelt saugte man das Lob in sich auf und wiegte sich beschwingt im Ruhm, zack, traf die Kugel. Hirnlose Worte, die trotzdem nahegingen und sich schneller ins Ego fraßen als Salzsäure in eine Tischplatte. Schluss. Sollten die da draußen sie doch lieben oder hassen, solange sie Jule von den Hacken blieben mit ihrer ungefragten Meinung. Sie hatte sich von der Bühne verabschiedet. Auf der Karriereleiter war die Luft so verdammt dünn geworden, alleine da oben, und Jule hatte den Rückwärtsgang eingelegt und eine bescheuerte Soap-Rolle angenommen. Feige. Leider. Das war ein Streitthema zwischen ihr und Ewa. Verstohlen schielte sie zu ihr hinüber. Die Bogacz hockte auf den Fliesen vor der Kiste und zog ehrfürchtig Briefe heraus, die sie mit leuchtenden Augen aufratschte und las.
»Der Knaller.« Ewa gluckste. »›Sie bewegen mich bei Aktionsart. Ihr schön Augen wie Meer blenden Schatz und Ihren Figur hat in mein Fantasie Elfen bloß. Ihr Ton hört erstaunlich.‹ Was heißt das denn bitte?«
»Frag den Übersetzer.« Google?
»Krass. Du hast Fans in aller Welt. Sie sprechen kein Deutsch, aber schreiben dir trotzdem. Ist doch mega, oder? Die … geil.« Ewas Hand versank im Karton. »Mozartkugeln. Die schmecken voll lecker, die … oh. Abgelaufen. Seit zweitausendund…«
»Schmeiß sie weg. Alle Dreckskugeln, die du findest.«
»Meinst du, da sind noch mehr?«
»Pfff. Na sicher.«
»Aber warum? Du magst doch nichts Süßes.«
»Anfängerfehler.« Jule seufzte. »Bei meinem ersten Engagement in Wien hat mich ein Journalist gefragt: ›Frau Schweitzer, was essen Sie am liebsten?‹ Und ich blöde Kuh dachte, es kommt sympathisch, wenn ich irgendwas Einheimisches sage. Tja.«
»Oha. Verstehe. Seitdem hagelt es Mozartkugeln?«
»Genau. Das ist nämlich die Scheiße an Online-Interviews. Das Netz vergisst nichts. Inzwischen steuer ich aber gegen und behaupte lieber Marillenknödel. Mit Butter, Zucker und Zimt.«
»Isst du das?«
»Nein.«
»Wo ist da der Sinn?« Ewa zerwuschelte sich die Fransen.
»Es kann dir niemand per Post Marillenknödel schicken. Äh, hoffe ich. Falls du irgendwo Fettflecken entdeckst, lass das Paket bitte zu.«
»Versprochen. Ich sag bei Steckbrieffragen Kaffee. Den kann man immer gebrauchen.« Ewa stöberte und schmökerte weiter. »Yes! Volltreffer.« Erst hielt sie ein
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