VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
ich.
Ich schnappte mir ein Stempelkissen, rollte einen Finger darüber, drückte ihn auf eine Karteikarte und fügte meine Initialen hinzu. Shelton und Hi taten dasselbe.
»Warum tun wir das noch mal?«, fragte Shelton.
»Um sicherzugehen, dass der mysteriöse Fingerabdruck nicht von uns stammt«, antwortete ich. »Wir wollen uns ja schließlich nicht selbst jagen.«
»Hast du irgendeine Ahnung, wie man Fingerabdrücke analysiert?«, fragte Hi.
»Es gibt drei Arten«, erklärte ich. »Schleifen, Bögen und Windungen.« Ich studierte die Karten mit meiner Handlupe. »Bei euch beiden sind es Schleifen. Shelton, deine Rillen verlaufen von links zur Mitte deiner Fingerkuppe und dann wieder nach links.«
»Meine nicht.« Hi schaute mir über die Schulter.
»Deine bilden auch Schleifen, verlaufen aber in die andere Richtung.«
»Sind wir miteinander verwandt?«, fragte Hi.
Shelton schnaubte.
»Nein, nur Nullachtfünfzehn-Typen«, antwortete ich. »Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung haben Schleifen.«
»Ich hätte lieber Windungen«, sagte Hi. »Klingt irgendwie cooler.«
»Windungen machen in der Mitte jedes Abdrucks eine komplette Drehung.« Ich hielt meine Karte hoch. »Wie bei mir. Knapp ein Drittel der Bevölkerung gehört zu diesem Typus.«
»Da muss die dritte Art ja ziemlich selten sein«, entgegnete Hi.
»Stimmt. Nicht mal fünf Prozent der Leute haben Bögen. Die Mitte dieses Abdrucks sieht aus wie eine Anhäufung kleiner Hügel.«
»Und der Gewinner ist …« Sheltons Stimme schwoll an wie ein Trommelwirbel.
Ich hielt meine Lupe über den geheimnisvollen Fingerabdruck.
»Jemand mit Bögen!«, krähte Hi.
»Was uns ausschließt«, fügte ich hinzu.
Hi legte die vier Karten nebeneinander. »Und der Abdruck ist groß! Viel zu groß für einen von unseren Fingern.«
»Ein so perfekter Abdruck muss ziemlich frisch sein«, sagte ich. »Shelton, bist du ganz sicher, dass du die Spule selbst wieder einsortiert hast? Du hast sie nicht auf einen der Wagen gelegt, damit dass Personal sie wieder einordnet?«
»110 Prozent sicher!«
»Dann hat unser Stalker den Abdruck hinterlassen.«
Ich machte schnell ein Foto mit meinem iPhone und warf dann einen Blick auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis zum Ende der Lunchpause. Genug Zeit, um Jason zu finden.
Doch Jason war nicht da.
Ich suchte überall nach ihm, in den Fluren, auf der Grünfläche, in der Sporthalle und der Mensa. Fehlanzeige. Obwohl die Schüler den Campus während der Unterrichtszeit nicht verlassen dürfen, schauen die Aufsichtspersonen schon
mal in die andere Richtung – falls man die richtigen Beziehungen hat.
Bestimmt holte Jason sich gerade bei Poogans’s Porch ein paar Krabbenküchlein. Doch ich konnte ihn auch nach der letzten Stunde noch abfangen. Wir hatten gemeinsam Trigonometrie.
Der Nachmittag war zäh wie Kaugummi. In Trigonometrie streute mir der Sandmann kiloweise Sand in die Augen. Zwei Mal wäre mein Kopf fast auf die Tischplatte geknallt. Ich zählte die Sekunden bis zum letzten Klingeln.
Ring!
Ich schoss hoch, als hätte ich eine Sprungfeder unter mir.
»Jason, warte!« Ich lief ihm auf dem Flur hinterher.
»Was gibt’s?« Breites Jason-Lächeln.
»Hast du eine Minute Zeit?«
»Für dich auch zehn Minuten. Dann fängt das Training an.«
Das Bolton-Lacrosse-Team musste die Landesmeisterschaft verteidigen und befand sich schon mitten in den Playoffs. Jason war der Topscorer seiner Mannschaft.
Ziel in Reichweite. Mach weiter.
Doch zu meinem Schrecken wusste ich nicht, wie ich mein Anliegen vorbringen sollte. Jason sah mich fragend an. Worte und Formulierungen schwirrten durch meinen Kopf, als Ben erschien.
»Und, hilft er uns?« Ben würdigte Jason keines Blickes.
»Hab ihn gerade erst erwischt.«
»Ich hab das Gefühl, ihr redet über mich«, sagte Jason. »Und du bist Ben, stimmt’s?«
»Stimmt.« Kein Lächeln. Keine Erwiderung.
Jasons Brauen schossen erstaunt nach oben.
Was ist denn hier los? Ich versuchte, das Eis zu brechen.
»Kennt ihr euch?«
Keine Reaktion. Jason und Ben fixierten sich schweigend. Die Atmosphäre wurde immer frostiger. Doch Charlestons Oberschichtkinder waren zu untadeligem Verhalten erzogen. »Nett, dich kennenzulernen«, sagte Jason, auch wenn das Gegenteil der Fall war. Nach dieser Höflichkeitsphrase wandte er sich wieder mir zu. Ben existierte nicht mehr.
»Ich hab da ein Problem«, sagte ich rasch. »Und ich dachte, dass dein Vater vielleicht helfen könnte.«
Nach
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