Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
Vom Netzwerk:
vermutlich um Hilfe bitten. Carrier hätte eher Vorbehalte, aber diesen Mann fürchtete Hayden nicht. Nein, er präparierte sein Bike nicht deshalb heimlich
und in seiner Freizeit, weil er Angst hatte, gefasst zu werden, sondern weil dies ganz allein seine Aufgabe war. Seine Privatsache.
    Er zupfte die Polsterung aus dem Bike-Sattel und stopfte dafür das Frachtnetz unter den Bezug. Kleine Büschel der Füllung schwebten davon, und er fing sie ein und steckte sie in seine Taschen. Dann beugte er sich über die Auspufföffnung, schob das dünne Seil in das Bike-Gehäuse hinein und machte es gut fest. Endlich lehnte er sich mit zufriedenem Lächeln zurück und bewunderte sein Werk.
    Miles und seine Genossen in der Widerstandsbewegung hatten in einem Punkt Recht gehabt: Es ging nicht darum, wogegen man kämpfte; wichtig war nur, was man aufbaute. Haydens eigene Eltern hatten das gewusst, aber nach ihrem Tod hatte er jahrelang nicht mehr daran gedacht. Vergeudete Jahre? - Nein, denn sie hatten ihn hierhergebracht, und jetzt konnte er vollenden, was er schon vor langer Zeit hätte in Angriff nehmen sollen.
    Er räumte sein Werkzeug weg, streichelte das Bike und begab sich zur Zentrifuge des Schiffes, um zum letzten Mal für lange Zeit bei Schwerkraft zu schlafen.

19
    Candesce loderte unter Haydens Füßen. Selbst hier, Hunderte von Kilometern entfernt, war die Hitze der Ersten Sonne kaum zu ertragen. Wenn er seine Augen beschirmte und in das Licht schaute, konnte er gerade noch die Leuchtschweife von Seen erkennen, die auf dem Weg zu diesem weißglühenden Kern verdampften. »Fast wie Kometen«, hatte Aubri gesagt, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte.
    Auch andere Dinge befanden sich in Candesces Nähe. Schiffe von allen Prinzipalitäten warteten am Rand der Hitzezone, um nach der Abschaltung vorzurücken. In den Prinzipalitäten pflegte man die Särge der Toten der Ersten Sonne zu übergeben; Hayden malte sich aus, wie auch sie ihr Ziel nie erreichten, sondern ganz zuletzt zu Kometen wurden, verdampften und in Virgas Materie eingingen, um abermals zu Orten und zu Menschen zu werden. Diesen Weg musste seine Mutter genommen haben, als Aeries neue Sonne explodierte. Sein Vater war wohl als Kompost auf irgendeiner Slipstream-Farm gelandet.
    Einige der Schiffe, die sich in Candesces Licht verbargen, waren also Totenschiffe. Aber manche hatten auch andere Absichten.

    »Was machst du da?« Aubri legte ihm einen Arm um die Taille. »Du wirst dir noch die Augen ausbrennen. Komm herein.«
    Hayden hatte über die Schiffe nachgedacht, die sich im Dunkeln dicht an Candesce heranwagten. Es waren Sammler - sie lasen den Abfall auf, den die Erste Sonne ausstieß. Dieser Abfall war Virgas wichtigste Quelle für Sonnenbauteile. Seine Eltern hatten Teile des Fusionskerns für Aeries geheime Sonne von den Prinzipalitäten gekauft.
    Doch jetzt musste er solche Spekulationen auf später verschieben. Er ließ sich von Aubri in die Hütte des Holzkohlesammlers ziehen, die sie am Rand von Leaf’s Choir gefunden hatten. Sie hockte wie ein quadratisches Insekt auf dem schwarzen Ast eines Baumes, dessen Wurzeln kilometerweit entfernt im Dunkeln lagen. Venera Fanning und Carrier hatten sich in einiger Entfernung in einer zweiten Sammlerhütte einquartiert; dort war auch das Bike in einer Reisigkugel versteckt. Carrier hatte es nicht in Haydens Obhut lassen wollen.
    Hayden kümmerte das nicht. Er schwelgte noch in Erinnerungen an diesen wundervollen Morgen, als Candesces erste Strahlen durch die Läden vor dem Fenster der Hütte gedrungen waren und er in der ungewohnten Stille in Aubris Armen gelegen hatte. Er hatte schon öfter mit einer Frau geschlafen; aber bisher hatte noch keine neben ihm gelegen, wenn er am nächsten Morgen erwachte. So hatte er langsam und zufrieden ein- und ausgeatmet, um die Stimmung so lange wie möglich festzuhalten.
    Das vertraute Dröhnen der Triebwerke war verstummt, und hier begrüßte nicht einmal Vogelgezwitscher
den Tag. Als Hayden sich zum Fenster hinüberzog (und die schlafende Aubri mitnahm, als wäre sie an ihn gefesselt), bot sich ihm eine überwältigende Aussicht. Er kam sich vor wie eine Laus im Haar eines Riesen; wohin er auch schaute, überall griffen dünne schwarze Arme aus Schatten und Dunkelheit nach Candesces Licht. Die Riesenhaare krümmten und verwoben sich miteinander; viele hatten noch Äste, obwohl die Sammler sie systematisch abtrugen. Blätter gab es nicht mehr, aber das Leben war nicht

Weitere Kostenlose Bücher