Virga 01 - Planet der Sonnen
Vermutlich wollte sie, dass er es ausprobierte.
Aber er war so verärgert, dass er kaum klar denken konnte. Er blickte sich um. Niemand beobachtete ihn. Nein, natürlich nicht. Aber in wenigen Stunden würde sich seine Blamage in der ganzen Flotte herumgesprochen haben. Daran war nichts mehr zu ändern.
Warum hatte sie ihm das angetan? Er überlegte. Wichtiger noch: Warum hatte er es zugelassen? Er hätte die Segel setzen und sie zwingen können, ihm hinterherzulaufen. Nur verfügte sie leider über Informationen, die sie gegen ihn, ihren eigenen Ehemann, verwenden konnte - und auch verwenden würde -, wenn er nicht genau das tat, was sie wollte. Er war sicher, dass Venera vor einem Angriff nicht zurückschrecken würde, er kannte sie lange genug, um nicht an ihrer Skrupellosigkeit zu zweifeln.
Er umfasste den Becher fester und hätte ihn am liebsten gegen die Wand geworfen. Aber damit würde
er dem Gerede nur neue Nahrung geben. Mit einem Seufzer hielt er ihn an sein Ohr.
Die Lautstärke erschreckte ihn - er riss das Ding weg, dann führte er es vorsichtig wieder zurück. Wüster Lärm drang an sein Ohr - ein gleichmäßiges Zischen, unheimliche Triller, die an- und wieder abschwollen, und ein Knirschen wie von riesigen Zähnen. Über allem lag ein tiefes Rauschen, als würde ein besonders dicker Stoff zerrissen. Und das ging immer und immer weiter, hypnotisch wie ein Streit zwischen Dämonen.
Er nahm den Lautsprecher vom Ohr. Dieses unablässige Grollen sollte angeblich alles erklären. Zugegeben, es war eine faszinierende Demonstration, aber sie machte keine der wilden Behauptungen, die Venera vorgebracht hatte, in irgendeiner Weise glaubwürdiger.
Ihm war das sowieso egal. Admiral Fanning konnte im Moment nur daran denken, dass seine Frau, zweifellos in voller Absicht, dafür gesorgt hatte, dass sich die Nationalflotte von Slipstream … verspätete.
6
Eine zerfasernder Wolkenturm ragte wie eine Rauchsäule in die Nacht hinein. Die Fetzen drehten sich so pompös wie misstrauische Duellanten, die gelegentlich mit halbherzigen Blitzen die gegnerische Deckung auf die Probe stellten. Hin und wieder öffnete sich kurzfristig ein Korridor aus klarer Luft zu einer fernen Sonne, und die grauen Gebilde wichen nach allen Seiten Tausende von Kilometern weit zurück. Gleich darauf leuchteten die Flanken des einen oder anderen Kombattanten in dumpfen Rosa- und Burgundertönen auf und überstrahlten für einen Moment alles andere.
Es waren junge Wolken, Abkömmlinge einer pilzförmigen Säule aus wärmerer Luft, die an diesem Morgen in Slipstreams Luftraum vorgestoßen war. Und da die Nebelbänke und Dunstkränze noch so jung waren, hatten sie gerade erst begonnen sich zu verdichten. Der Raum, durch den sie schwebten, war noch von den Resten einer früheren Wolkenmasse besetzt: Deren Tröpfchen waren im Lauf der vergangenen Stunden und Tage zusammengestoßen und miteinander verschmolzen, und mit jeder solchen Kollision hatte ihre Zahl ab- und ihre Größe zugenommen. Jetzt durchschlugen Wasserkugeln so groß wie Köpfe oder gar
wie ganze Häuser, langsamen Kanonenkugeln gleich die neuen Wolken und vergrößerten noch das Chaos der sich mischenden Luftmassen.
Vor zwei Habitaten und einer Farm, den einzigen Wohnstätten im Umkreis von vielen Kilometern, wachten Bürger auf ihren Bikes. Die Posten hielten Ausschau nach großen Wassermassen, die womöglich aus der Dunkelheit auftauchen und Kurs auf die rotierenden Räder oder die dunklen Netze der Farm nehmen könnten. Für einen der Männer war das Schwirren des kleinen Propellers, der seine Lampe am Brennen hielt, das einzige Geräusch. Er wartete stumm, den Mantel fest um die Schultern gezogen, um die feuchte Kälte abzuhalten, die Füße auf den Pedalen, jederzeit bereit, mit einem Tritt den Motor zu starten.
In dieser Stellung sah er nicht sofort, wie sich etwas aus einer Wolke schob, das aussah wie ein Vogelkopf. Als er es endlich entdeckte, fluchte er leise, denn er hielt es zunächst für eine Wasserkugel, die ein ganzes Habitat in Trümmer legen konnte. Mit kältestarren Fingern griff er nach seinem Messinghorn, doch als er es an die Lippen hob, hielt er inne. Das Ding war nicht mehr rund, es sah eher so aus, als sei dem durchsichtigen Vogel ein zweiter Schnabel gewachsen. Und dieser Schnabel war hart und spitz. Es war der Bug eines Schiffes.
Seit er das Schiff sehen konnte, wurde ihm auch bewusst, dass er es bereits seit einigen Minuten gehört hatte: ein
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