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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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schwebten im Schein ferner Sonnen Milliarden von zartblättrigen Pflanzen, von denen jede mit ihren Wurzeln einen eigenen Erdklumpen oder einen Wassertropfen umkrallte. Die Luft war mit Sauerstoff gesättigt, und die Menschen, die auf den Farmen arbeiteten, waren berauscht vom Duft nach Wachstum und Leben.
    Im Gegensatz dazu waren die riesigen Räume des Winters, die sich vor der Kugel auftaten, so klar und durchsichtig wie Kristall. Die Kugel stürzte hinein wie in eine Sphäre aus reinstem Regenwasser, in ein Blau von unergründlicher Tiefe, in dem sie abkühlte und sogar ein klein wenig schrumpfte. Sie schlängelte sich durch Schwärme blinder Fische mit dichtem Gefieder und durch Scharen von nahezu identischen Vögeln, die sich von den Fischen ernährten. Dann überspannten Eisbögen den Himmel, gefrorener Wasserschaum
aus gewölbten, mehr als zwanzig Kilometer großen Blasen. Schwarze Löcher durchsetzten die Bogenwände. Schnee schmiegte sich in die Krümmungen von Eiszapfen, die länger waren als Rushs Schatten. Die Luft war hier trübe, es mangelte an Sauerstoff wie an Wärme. Die Kugel wurde langsamer und kam am anderen Ende dieser Kathedrale aus Eissplittern fast zum Stillstand.
    Doch bevor sie in eine langsame Drehung gehen und in die filigrane blaue Pracht hinter sich zurückkehren konnte, traf sie ein verirrter Strahl von Candesce von unten. Er erwärmte die Luft hinter ihr gerade so weit, dass sie mit einem Seufzer weggestoßen wurde und wieder in das dunkle Nichts stürzte.
    Nicht in allen leeren Räumen Virgas herrschte der Winter. Von der Ersten Sonne stiegen Hunderte von Kilometern hohe Säulen aus warmer Luft auf. Bevor sie so weit abkühlten, dass ihr Wasser kondensierte und Wolken bildete, waren sie durchsichtig, und Candesces Licht folgte ihnen nach oben und drang an manchen Stellen bis zu Virgas Außenhaut vor. Die Kugel geriet in eine solche Säule, änderte ihren Kurs, stieg mit in die Höhe und umrundete langsam die Welt.
    Ein vorüberziehender Eisberg gab ihr einen weiteren Schub. Das Ungetüm erzeugte einen Strudel, die Kugel bekam Rückenwind und erreichte bald eine respektable Reisegeschwindigkeit von mehr als fünfzig Stundenkilometern. Auf dem Kamm dieser Wellenfront gelangte sie in einen dichten Wald, der sich selbst mit Sauerstoff übersättigt hatte. An die Hundert der langen, spinnwebfeinen Stamm- und Baumfäden, aus
deren Geflecht der Wald bestand, verfehlte sie knapp. Doch dann geschah es: Nach einigen Kilometern prallte sie gegen einen einzelnen Stein, der im Innern durch die Luft schwebte, und ein paar Funken stoben auf. Ein Funke traf ein trockenes Blatt, das schon seit zehn Jahren durch das schattige Innere des Waldes kreiste. Das Blatt verwandelte sich in eine kleine Feuerkugel, das Feuer erfasste die anderen Blätter in seiner Nähe und dann einige Bäume.
    Der wachsende Feuerball trieb die Kugel immer schneller voran. Kilometer um Kilometer fegte der Flammensturm durch die aufgeladene Atmosphäre und verzehrte in Sekundenschnelle Bäume, die größer waren als ein Habitat. Der Wald loderte so hell wie sämtliche Sonnen Virgas zusammen. Als er ausbrannte, war in seinem dichten Kern aus Asche und Rauch ein Sargassum entstanden - ein Raum, der von einer dicken Wand aus verkohlten Ästen und Wurzeln vor dem Wind geschützt war, und in dem es weder Licht noch Sauerstoff gab.
    Die Kugel kümmerte nicht, was sie angerichtet hatte. Sie ritt auf der Explosion durch den ganzen Wald. Als sie das tosende Inferno verließ, hatte sie wieder eine Geschwindigkeit von fast zwei Kilometern pro Sekunde erreicht. Minuten später überquerte sie die Grenze nach Aerie. Sie schoss an den Habitaten und Außenposten von Slipstream vorbei. Sie steuerte innerhalb der Formation auf ein Quartett von Habitaten mit dem Namen Rush zu. Sie visierte ein einzelnes Fenster im Glitzerrad der Admiralität an.
    Und bohrte sich in Venera Fannings Unterkiefer. Eine kleine Menge Blut wollte den Weg noch fortsetzen,
schaffte aber nur wenige Meter. Die Kugel hatten die Ärzte zwar aus Veneras Hals geschnitten, aber sie hatte die Admiralität seither nicht verlassen.
    Bis jetzt. Während Venera unruhig schlief und im Traum den langen Weg des Projektils zurückverfolgte, rollte die Kugel in ihrem Gepäck in der Lackschatulle, wo ihr Opfer sie aufbewahrte, langsam hin und her. Ihre Reise war noch nicht zu Ende.

8
    Der Hangar der Krähe war ein tiefer Raum von der Form eines Kuchenstücks, der ein Drittel der

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