Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
Johnson blinzelnd und blickte zuerst den Mond und dann Virgil an. »Rauchst du wieder dieses Zeug?«
»Hat viel mehr Ähnlichkeit mit einem Butterbällchen als mit einem Kartoffelchip. Wie peinlich, mit jemandem im selben Boot zu sitzen, der behauptet, dass der Mond aussieht wie ein Pringle.«
Beim Musky-Angeln muss man herumalbern, weil man einfach nicht genug Fische fängt, über die sich eine Unterhaltung lohnt. Johnson schaute hinaus aufs dunkle Wasser des Sees; zwischen den Kiefern am Ufer blinkten einzelne Lichter, und darüber leuchtete violett der westliche Himmel vor dem hellen Gelb des Pringle- oder Butterbällchen-Mondes. »Ist schön hier draußen«, stellte Johnson fest.
»Stimmt.«
Vermilion Lake, »the Big V«, weit oben im nördlichen Minnesota. Sie ließen sich eine Weile dahintreiben, ohne sich ernsthaft mit dem Angeln zu beschäftigen, denn vor ihnen lag noch ein langer Tag auf dem Wasser. Ein Boot mit zwei Männern fuhr ziemlich schnell an ihnen vorbei, vermutlich auf der Suche nach einer erfolgversprechenderen Stelle, falls es die gab.
Bei Sonnenaufgang kam Wind auf, der das Wasser kräuselte, genug, um sie ohne Motor am Rand des Schilfs vor beitreiben zu lassen. Sie waren zwei Stunden draußen, als ein weiteres schnelles Boot aus dem Osten auftauchte, das langsamer wurde, als es sie passierte, und an der Schilflinie zum Stillstand kam. Darin zwei Männer, die Virgil und Johnson ansahen.
»Der Mistkerl schneidet uns«, fluchte Johnson, der keinerlei Verständnis hatte für Massenmörder, Päderasten oder Leute, die einen schnitten.
»Ist das nicht Roy?«, fragte Virgil. Roy war der Leiter des Turnierausschusses.
»Hm?« Roy würde niemals jemanden schneiden.
Der Mann an der Ruderpinne schaltete den Motor aus, und sie glitten in einem weiten Bogen zu Virgils und Johnsons Tuffy.
»Morgen, Virgil. Morgen, Johnson.« Roy zog sein Boot an das ihre heran.
»Morgen, Roy«, erwiderte Johnson seinen Gruß. »Arnie, wie geht’s?«
Arnie nickte und spuckte tabakbraunen Speichel in den See. Roy, der in seinem schwarz-roten Holzfällerhemd wie ein alternder, graubärtiger Heils Angel aussah, teilte Virgil mit: »Ein gewisser Lucas Davenport versucht, dich zu erreichen.«
»Hast du ihm gesagt, dass er sich verpissen soll?«
Roy grinste. »Wollte ich, aber er hat mir erklärt, wer er ist, und mich gebeten, dein Handy aus deiner Hütte zu holen, weil du das sicher nicht dabeihast. Und er hatte recht.« Roy nahm Virgils Handy aus seiner Hemdtasche und reichte es ihm. »Sorry.«
»Scheiße, Roy«, brummte Johnson.
»Ich hab hier wahrscheinlich sowieso keinen Empfang«, sagte Virgil und schaltete den Apparat ein. Doch er täuschte sich.
»Virgil, für mich gibt’s kaum was Wichtigeres als diesen Wettbewerb. Ich weiß also genau, wie dir zumute ist«, sagte Roy. »Aber Davenport behauptet, drüben am Stone Lake sei eine Frau ermordet worden. Du sollst sie dir anschauen.«
»Kennst du sie?«, fragte Johnson.
»Nein«, antwortete Roy.
»Wie zum Teufel kann sie dann so wichtig sein?«, erkundigte sich Johnson. »Die ganze Zeit sterben Leute. Zerbrichst du dir über alle den Kopf?«
»Das hab ich mich auch schon gefragt«, pflichtete Arnie ihm bei und fügte an Roy gewandt hinzu: »Wir verlieren jede Menge Angelzeit, Mann.«
Als Roy und Arnie sich entfernt hatten, setzte Virgil sich, und Johnson warf brummelnd wieder seine Double Cowgirl aus. Virgil hielt sich ein Ohr zu und drückte auf den Schnellwahlknopf für Davenports Privatnummer. Davenport meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Bist du auf dem See?«, fragte Davenport.
»Ja. Seit zwei Stunden«, antwortete Virgil. »Bis jetzt haben wir zwei Fische gesehen.«
»Schöner Tag?«
»Perfekt.« Virgil hob den Blick zum heller werdenden Himmel. Ja, es war tatsächlich ein perfekter Tag. »Leicht bewölkt und eine Brise, nicht zu warm.«
»Virgil, tut mir echt leid.«
»Was ist passiert?«
»Eine Frau ist an der Eagle Nest Lodge am Stone Lake in der Nähe von Grand Rapids von einem Heckenschützen erschossen worden. Erica McDill, die Leiterin von Ruff-Harcourt-McDill, der Werbeagentur in Minneapolis.«
»Von der hab ich schon gehört«, sagte Virgil.
»Sie war eine glühende Demokratin, was heißt, der Gouverneur möchte, dass wir uns der Sache annehmen. Außerdem bittet Bob Sanders, der örtliche Sheriff, uns um Hilfe.«
»Wann wurde sie gefunden?«
»Bei Sonnenaufgang, vor eineinhalb Stunden. Sanders ist bei der
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