Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
den Stone Lake gefunden«, verkündete Johnson, als Virgil wieder einstieg. »Wir müssen quer rüber.« Er erklärte Virgil den Weg auf dem Plan, leerte eine zweite Bierdose und sagte: »Geht mir ganz schön auf die Nerven, wenn du ständig die Dosen einsammelst.«
»Und ich hab’s satt, mich darüber zu streiten, Johnson«, entgegnete Virgil. »Wenn du eine Dose aus dem Fenster wirfst, bleib ich stehen und heb sie auf.«
»Scheiße, Mann«, brummte Johnson und verstaute die leere Dose unter dem Sitz. »Zufrieden, Scheiß-Öko?«
Virgil war blond und schlaksig, sah mit seinen für einen Cop eindeutig zu langen Haaren aus wie ein Surfer und liebte T-Shirts mit Namen von Indie-Rockbands. Auf dem Shirt, das er gerade trug, stand »Sebadoh«. Mit seinen über eins achtzig wirkte Virgil wie ein guter Baseballspieler, aber in Wahrheit war er auf dem College ein paar Jahre lang ein eher mittelmäßiger gewesen. Er hatte sich durch die Schule treiben lassen und am Ende einen – wie sich später herausstellte – unbrauchbaren Abschluss in Ökologie erworben. (»Das ist weder Biologie noch Botanik und hat von keinem genug«, hatte man ihm einmal bei einem Bewerbungsgespräch erklärt.)
Da er mit seinem College-Abschluss nicht in der Lage gewesen war, in seinem Fachgebiet Arbeit zu finden, hatte er sich freiwillig zum Militär gemeldet, für die Offizierslaufbahn, weil er erwartete, dass man ihn in den Nachrichtendienst oder eine der Einheiten stecken würde, in denen man ganz in Schwarz gekleidet aus Flugzeugen sprang.
Doch nach sämtlichen Tests war er Militärpolizist geworden.
Anschließend hatte er zehn Jahre bei der Polizei von St. Paul verbracht und dort so viele Fälle aufgeklärt wie nie jemand vor ihm. Und war von Davenport, dem offiziellen bösen Buben des SKA, angeheuert worden.
»Bei uns kriegen Sie die harten Nüsse«, hatte Davenport ihm prophezeit und sein Versprechen bis jetzt gehalten.
Nebenher war Virgil dabei, sich einen Namen als Outdoor-Autor zu machen. Den Hintergrund zu den Storys recherchierte er in seinen, wie Virgil sie nannte, »Unterstunden«. Außerdem hatte er zwei Folgen einer Non-Outdoor-Reihe über einen seiner Fälle an das New York Times Magazine verkauft. Der Deal hatte ihm Flausen in den Kopf gesetzt und ihn mit dem Gedanken spielen lassen, eine Rolex zu erstehen.
Davenport störten die Flausen und die Unterstunden nicht – Virgil war jeden Cent wert –, Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings, dass Virgil sein Boot mit einem Dienst-Truck beförderte, manchmal vergaß, wo er seine Waffe hingelegt hatte, und bisweilen mit Zeuginnen schlief.
Aber er hatte eine unerreicht hohe Zahl aufgeklärter Fälle zu bieten. Davenport war pragmatisch: Wenn etwas funktionierte, sollte man sich nicht einmischen.
Trotzdem machte er sich Gedanken.
»Weißt du«, sagte Johnson zu Virgil, »ein bisschen erinnerst du mich an einen Sklaven. Sie sagen dir, du sollst deinen Arsch raus aufs Baumwollfeld bewegen, und du machst das. Mein Freund, du hast deine Freiheit für eine Lohntüte verkauft, übrigens nicht mal für eine besonders dicke.«
»Die Sozialleistungen sind gut«, erklärte Virgil.
»Ja. Wenn du angeschossen wirst, zahlen sie das Zusammenflicken. Du könntest ein berühmter Autor sein. Die Frauen würden dir in Scharen nachlaufen, und du würdest ein Sportsakko mit Ellbogenschonern tragen und Pfeife rauchen oder so. Du könntest frei über deine Zeit verfügen, in Hollywood rumhängen und Drehbücher schreiben. Oder Madonna bumsen.«
»Grundsätzlich mag ich meinen Job«, beteuerte Virgil. »Nur eben nicht immer.«
Johnson, ein alter Angelkumpel, den Virgil aus College-Zeiten kannte, war schlank, hatte jede Menge Narben von allerlei alkoholbedingten Unfällen in den unterschiedlichsten Fahrzeugen von Schneemobilen über Trucks bis zu Luftkissenbooten in den Everglades und war im Holzgewerbe. Er führte eine Sägemühle im südöstlichen Minnesota, wo er Hartholz für Parkettböden bearbeitete. Außerdem schnitt er riesige Ahorn- und Kirschholzstücke für Künstler zu und machte sie haltbar. Als passionierter Angler kannte er den Mississippi zwischen Winona und LaCrosse wie seine Westentasche und war immer fürs Musky-Fischen zu haben.
Johnson trug Jeans und ein T-Shirt. Bei kühlerem Wetter zog er ein Sweatshirt über das T-Shirt. Wurde es noch frischer, schlüpfte er in eine Jeansjacke. Noch kälter, in eine Carhartt-Jacke. Richtig kalt, und er sagte: »Leck
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