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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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das
    Rasiermesser ins Wasserbecken. Seifenschaum und
    139
    graue Barthaare schnellten in einer Demonstration der Oberflächenspannung zurück. »Nicht so wie neulich, wo ich zugesehen hab, wie du hinter der Scheiße hergekraxelt bist.«
    Yamasaki hatte einen ganzen Vormittag damit
    verbracht, die Abwassersammlungs-Arrangements für die Gruppe der Behausungen aufzuzeichnen, die seiner Ansicht nach Skinners ›Wohnviertel‹ darstellten. Dank der ausgiebigen Verwendung von transparenten Fünf-Zoll-Schläuchen war das eine ziemlich aufregende Sache gewesen, wie bei einem Spiel für Kinder; er hatte nämlich versucht, den Weg eines gegebenen Fäkalienklumpens von einer Behausung an der nächsten vorbei nach unten zu verfolgen. Die Schläuche liefen in anmutigen, willkürlichen Bogen durch den Brückenaufbau abwärts, gebündelt wie Ganglien, um unterhalb der unteren Ebene in einem tausend Gallonen fassenden Aufbewahrungstank zusammenzutreffen.
    Wenn dieser voll war, hatte Skinner erklärt, warf ein Quecksilberschalter in einem Schwimmer eine Strahlpumpe an, die das gesammelte Abwasser in ein Drei-Fuß-Rohr beförderte, das sie ins städtische System einspeiste.
    Er hatte sich eine Notiz gemacht, diese Verbindung als ein Interface zwischen dem Programm der Brücke und dem Programm der Stadt zu betrachten, aber es war offenkundig wichtiger, Skinner die Geschichte der Brücke zu entlocken. Davon überzeugt, daß Skinner 140
    irgendwie den Schlüssel zur existentiellen Bedeutung der Brücke besaß, hatte Yamasaki seine physische Erforschung der sekundären Konstruktion ad acta
    gelegt, um so viel Zeit wie möglich in der Gesellschaft des alten Mannes zu verbringen. Von seiner geliehenen Wohnung aus schickte er seine tägliche Materialsammlung jede Nacht an die soziologische
    Fakultät der Universität von Osaka.
    Als er heute in den Lift gestiegen war, der ihn zu Skinners Behausung bringen würde, war er dem Mädchen begegnet, das auf seinem Weg zur Arbeit nach unten fuhr, die Schulter im Rahmen ihres Fahrrads. Sie arbeitete als Kurier in der Stadt.
    Hatte es etwas zu bedeuten, daß Skinner seine
    Unterkunft mit einer Person teilte, die sich ihren Lebensunterhalt am archaischen Schnittpunkt von Information und Geographie verdiente? Die Büros,
    zwischen denen das Mädchen hin und her fuhr, lagen —elektronisch gesehen — praktisch nebeneinander; sie waren im Grunde ein einziger Schreibtisch. Die Karte mit den Entfernungen zwischen ihnen wurde vom nahtlosen und unmittelbaren Charakter der
    Kommunikation ausgelöscht. Dennoch konnte man
    gerade diese Nahtlosigkeit, die reale Postsendungen zu einer teuren Ausnahmeerscheinung gemacht hatte, durchaus auch als Porösität betrachten, und als solche erzeugte sie den Bedarf an dem Service, den das Mädchen bot. Indem es Informationspartikel leibhaftig in 141
    einem Gitter transportierte, das aus kaum etwas
    anderem als Informationspartikeln bestand, sorgte es für ein gewisses Maß an absoluter Sicherheit im Ungewissen Universum der Daten. Wenn das Mädchen
    ein Memo in seiner Tasche hatte, wußte man genau, wo es sich befand; ansonsten war das Memo im Augenblick des Transits nirgendwo, vielleicht auch überall.
    Er fand es attraktiv, Skinners Mädchen, auf eine
    seltsame, fremdartige Weise, mit seinen harten weißen Beinen und dem militanten, hochgereckten Zopf dunkler Haare.
    »Träumst du, Scooter?« Skinner stellte das Becken beiseite, wobei seine Hände leicht zitterten, und lehnte die Schultern an muffig aussehende Kissen. Die weißgestrichene Sperrholzwand knarrte leise.
    »Nein, Skinner-san. Aber Sie haben versprochen,
    mir von der ersten Nacht zu erzählen, als man
    beschlossen hat, die Brücke zu besetzen ...« Sein Ton war mild, aber seine Worte waren mit Bedacht so gewählt, daß sie seinen Gesprächspartner reizen und ihn zum Reden bringen würden. Er aktivierte die Aufnahmefunktion des Notebooks.
    »Wir haben gar nichts beschlossen. Das hab ich dir schon mal gesagt ...«
    »Aber irgendwie es ist doch geschehen.«
    »Ein Scheiß geschieht. In dieser Nacht hat sich's einfach so ergeben. Keine Zeichen, kein Führer, keine 142
    Architekten. Du denkst, es war was Politisches. Aber dieser Tanz ist vorbei, mein Junge.«
    »Aber Sie haben gesagt, die Leute waren ›bereit‹.«
    »Aber nicht zu was Bestimmtem. Das scheint dir nicht in den Kopf zu gehen, was? Die Brücke war zum Beispiel da, aber ich sage nicht, sie hätte gewartet.
    Kapierst du den Unterschied?«
    »Ich

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