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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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glaube schon ...«
    »Einen Scheiß glaubst du.« Das Notebook hatte
    manchmal Schwierigkeiten mit Skinners Idiomen.
    Außerdem neigte er dazu, undeutlich zu sprechen. Ein Expertensystem in Osaka hatte angedeutet, er könne ein gewisses Maß neuraler Schädigungen erlitten haben, vielleicht infolge der Einnahme von Drogen oder aufgrund eines oder mehrerer leichter Schlaganfälle.
    Aber Yamasaki glaubte, daß Skinner einfach nur zu lange in unmittelbarer Nähe des seltsamen Attraktors gewesen war, der die Brücke zu dem gemacht hatte, was sie geworden war. »Nach dem Little Grande«, begann Skinner langsam und bedächtig, als wolle er die Worte besonders hervorheben, »hat kein Mensch mehr diese Brücke benutzt, verstehst du?«
    Yamasaki nickte und sah zu, wie die Schriftzeichen von Skinners übersetzter Rede über das Notebook liefen.
    »Das Erdbeben hat sie ein für allemal erledigt,
    Scooter. Der Tunnel auf Treasure ist eingestürzt. War immer schon instabil da ... Zuerst sagten sie, sie wollten 143
    ihn wieder aufbauen, von Grund auf, aber sie hatten schlichtweg nicht die Kohle dafür. Also haben sie an beiden Enden Maschendrahtzäune, NATO-Draht und Beton hochgezogen. Zwei Jahre später kamen dann die Deutschen an, überzeugten sie von Nanomech und machten ihnen klar, wie sie den neuen Tunnel bauen könnten. Würde billig sein und sollte Autos und eine Magnetschwebebahn aufnehmen können. Und sie waren einfach unglaublich schnell, als sie's erstmal gegen den Widerstand der Grünen durchgebracht hatten. Immerhin hat die Biotech-Lobby der Grünen sie gezwungen, die Teile draußen in Nevada zu züchten. Wie Kürbisse, Scooter. Dann haben sie sie mit Kranwagen rangekarrt und in der Bucht versenkt. Und sie aneinandergekoppelt. Winzige Maschinchen sind da drin rumgekrochen, hart wie Diamanten; haben alles fest miteinander verbunden, und zack, da habt ihr euren Tunnel. Die Brücke stand bloß noch so rum.«
    Yamasaki hielt den Atem an und rechnete damit, daß Skinner wie so oft wieder den Faden verlieren würde —oftmals mit Absicht, wie er argwöhnte.
    »Diese eine Frau hat immer gesagt, man sollte das ganze Ding mit Efeu und wildem Wein bepflanzen ...
    Andere meinten, man sollte es besser abreißen, bevor ein weiteres Erdbeben das erledigen würde. Aber da stand sie. Und in den Städten haufenweise Leute, die keine Bleibe hatten — Containerdörfer aus Pappe im Park, wenn man Glück hatte —, und dann brachten sie 144
    diese Tropfrohre aus Portland rüber und legten sie um die Gebäude. Da läuft so viel Wasser raus und auf den Boden, daß man da nicht mehr liegen mag. Ist 'ne fiese Stadt, Portland. Die haben das da erfunden ...« Er hustete. »Aber damals, in dieser Nacht, sind die Leute einfach gekommen. Gab hinterher alle möglichen Geschichten darüber, wie's passiert ist. Hat auch gepißt wie die Sau, damals. Wohl für keinen das richtige Wetter für Randale.«
    Yamasaki stellte sich die beiden Bögen der
    ausgestorbenen Brücke im strömenden Regen vor,
    während sich die Menschen sammelten. Er sah vor sich, wie sie die Zäune, die Barrikaden in so großer Zahl erklommen, daß sich der Maschendraht verzog und umfiel. Dann hatten sie die Türme bestiegen, wobei mehr als dreißig von ihnen in den Tod gestürzt waren. Aber als die Morgendämmerung kam, hingen die Überlebenden dort, und die Hubschrauber der
    Journalisten umkreisten sie im grauen Licht wie
    geduldige Libellen. Er hatte das oft gesehen, auf den Bändern in Osaka. Aber Skinner war dabeigewesen.
    »Vielleicht tausend Leute auf dieser Seite. Noch mal tausend in Oakland. Und wir sind einfach losgerannt.
    Die Cops sind zurückgeblieben, aber was gab's da für sie auch schon groß zu beschützen? In erster Linie hatten sie eben den Befehl, Menschenansammlungen auf der Straße zu unterbinden. Sie hatten ihre Chopper oben im Regen, und die haben uns angestrahlt. Hat uns die Sache 145
    nur erleichtert. Ich hatte diese spitzen Stiefel an. Bin zu dem Zaun gerannt, der vielleicht viereinhalb Meter hoch war. Hab einfach meine Zehen reingesteckt und bin losgeklettert. Ist ganz leicht, über so 'nen Zaun zu steigen, wenn man spitze Stiefel hat. Ich war oben, Mann, als ob ich fliegen würde. NATO-Drahtrollen obendrauf, aber die Leute hinter mir haben alles mögliche raufgereicht; Holzplatten, Mäntel, Schlafsäcke.
    Um sie über den Draht zu legen. Und ich fühlte mich so ... leicht ...«
    Yamasaki spürte, daß er irgendwie nah, sehr nah am Kern der Sache

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