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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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anständiger Fahrer«, sagte Warbaby, als wäre es so ungefähr das Traurigste, was ihm je zu Ohren gekommen war. Rydell hatte noch nie gehört, daß jemand Hernandez so nannte. »Er sagt, Sie kennen die Gegend hier oben nicht ...«
    »Das stimmt.«
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    »Andersrum heißt das«, sagte Warbaby, »daß
    niemand hier Sie kennt. Nimm dem Mann das Gepäck ab, Freddie.«
    Freddie nahm Rydells Weichkoffer mit
    offenkundigem Widerwillen, als ob er sich mit so etwas normalerweise nicht gern sehen ließe.
    Die Hand mit dem protzigen Ring legte sich auf
    Rydells Schulter. Es kam ihm so vor, als ob der Ring zwanzig Pfund wiegen würde. »Hat Juanito Ihnen irgendwas drüber erzählt, was wir hier oben machen?«
    »Er hat was von einem Hoteldiebstahl gesagt.
    Meinte, IntenSecure hätte Sie sozusagen unter Vertrag genommen ...«
    »Diebstahl, ja.« Warbaby sah aus, als ob die
    moralische Schwerkraft des ganzen Universums auf ihm lasten würde und als ob er bereit wäre, diese Bürde zu tragen. »Etwas wird vermißt. Und jetzt ist alles noch ...
    komplizierter.«
    »Wieso?«
    Warbaby seufzte. »Der Mann, der es vermißt, ist
    tot.«
    Ein anderer Ausdruck in diesen Augen. »Und wie ist er gestorben?« fragte Rydell, als das Gewicht endlich von seiner Schulter genommen wurde.
    »Mord«, antwortete Warbaby leise und trübselig, aber sehr deutlich.
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    »Sie fragen sich, was es mit meinem Namen auf sich hat«, sagte Warbaby vom Rücksitz seines schwarzen Ford Patriot aus.
    »Ich frage mich, wo der Schlüssel rein muß, Mr.
    Warbaby«, sagte Rydell hinter dem Lenkrad und ließ seinen Blick über das Armaturenbrett schweifen, das ihm viele Möglichkeiten zur Auswahl anbot.
    Amerikanische Autos waren die einzigen, die sich noch die Mühe machten, die Instrumente physisch darzustellen. Vielleicht gab es deshalb nicht mehr so viele davon. Wie diese Harleys mit Kettenantrieb.
    »Meine Großmutter war Vietnamesin«, grummelte
    Warbaby wie eine tektonische Platte, die sich
    resignierend löste und Richtung China abtauchte.
    »Mein Großvater kam aus Detroit. Ein Soldat. Hat sie aus Saigon mitgebracht, ist dann aber nicht bei ihr geblieben. Mein Daddy, sein Sohn, hat seinen Namen geändert und sich Warbaby genannt, verstehen Sie?
    Eine Geste. Sentimentalität.«
    »Aha«, sagte Rydell, ließ den großen Ford an und
    checkte das Getriebe. Saigon war ein Ort, wo reiche Leute Urlaub machten.
    Vierradantrieb. Keramikpanzer. Straßenfeger von
    Goodyear, die man nur mit einer richtigen Kanone
    durchlöchern konnte. Ein Luftreiniger aus Pappe, der wie eine Pinie geformt war, hing vor den Heizungsschlitzen.
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    »Und die Sache mit ›Lucius‹, tja, das kann ich Ihnen auch nicht erklären.«
    »Mr. Warbaby«, sagte Rydell mit einem Blick nach
    hinten, »wohin soll ich Sie fahren?«
    Ein Modem-Piepser vom Armaturenbrett.
    Freddie in dem feudalen Schalensitz neben Rydell
    stieß einen Pfiff aus. »Du dicke Scheiße«, sagte er, »das ist echt übel.«
    Rydell drehte sich zur Seite, um zuzusehen, wie das Fax herauskam: ein fetter Mann, nackt auf blutgetränkten, hart gewordenen Laken. Blutlachen, in denen das grelle Blitzlicht des Fotografen eingefroren war wie matte Trugbilder der Sonne.
    »Was ist das da unter seinem Kinn?« fragte Rydell.
    »Ein kubanisches Halstuch«, sagte Freddie.
    »Nein, Mann«, Rydells Stimme ging eine Oktave höher, »was ist das?«
    »Die Zunge von dem Kerl«, sagte Freddie, riß das
    Bild vom Schlitz ab und reichte es Warbaby im Fond.
    Rydell hörte, wie das Fax in seiner Hand knarzte.
    »Diese Menschen«, sagte Warbaby. »Schrecklich.«
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Der moderne Tanz
    Yamasaki saß auf dem flachen Holzhocker und
    schaute Skinner beim Rasieren zu.
    Skinner saß auf dem Bettrand, schabte sich mit einem Wegwerfrasierer das Gesicht rosig und reinigte die Klinge in einem zerbeulten Aluminiumbecken, das er zwischen den Schenkeln hielt.
    »Das Rasiermesser ist alt«, sagte Yamasaki. »Sie
    werfen es nicht weg?«
    Skinner sah ihn über den Plastikrasierer hinweg an.
    »Die Sache ist die, Scooter, nach 'ner Weile werden die Dinger nicht mehr stumpfer.« Er seifte sich die Oberlippe ein, rasierte sie und hielt dann inne. Bei den ersten paar Besuchen war Yamasaki immer ›Kawasaki‹ gewesen.
    Jetzt war er ›Scooter‹. Die blassen alten Augen unter den schweren, rötlichen Lidern musterten ihn gleichmütig. Yamasaki spürte Skinners inneres
    Gelächter.
    »Ich bringe Sie zum Lachen?«
    »Heute nicht«, sagte Skinner und warf

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