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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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alten Filmen mit diesem großen Kerl, der in die Politik 153
    gegangen war, als ihm das ganze Fleisch weggefetzt worden war. Der Gedanke an Sammy Sals Knochen weckte in den meisten Mädchen den Wunsch, er würde auf ihre hüpfen, aber nicht bei Chevette. Er war schwul, sie waren Freunde, und Chevette wußte in letzter Zeit sowieso nicht so recht, wie sie zu all dem stand.
    »Tatsache ist«, sagte Sammy Sal und verschmierte
    mit dem Rücken einer langen Hand den Dreck auf seiner Wange, »daß ich beschlossen hab, Ringer zu killen. Und die Wahrheit, weißt du, die hat so was Befreiendes ...«
    »Oha«, sagte Chevette. »Du mußt heute 'nen Run
    rüber zu 456 gehabt haben.«
    »Stimmt, Süße, und ich hab's gemacht. Bin mit 'nem dreckigen Lastenaufzug ganz nach oben gefahren. Mit 'nem langsamen dreckigen Lastenaufzug. Und warum?«
    »Weil Ringer sein Zeichen in ihr Blech geschnitzt hat, Sal, und in ihr Rosenholz auch?«
    »Ge-nau, Chevette, mein Schatz.« Sammy Sal nahm
    sein blauweißes Halstuch ab und wischte sich damit das Gesicht ab. »Dafür reiß ich ihm den Arsch bis zum Stehkragen auf.«
    »...und müssen jetzt mit systematischer Sabotage am Arbeitsplatz beginnen«, sagte Fiona X, »oder als Feinde der Menschheit gebrandmarkt werden.«
    Die Tür zum Vermittlungsbüro, dessen Wände so
    dick mit angepinnten Zeitplänen, Stadtplänen, zerfetzten städtischen Meldeformularen und gefaxten Beschwerden bedeckt waren, daß Chevette keine Ahnung hatte, wie 154
    die Flächen darunter aussehen mochten, ging auf. Bunny streckte seinen zernarbten, ungleichmäßig rasierten Kopf heraus wie eine Schildkröte, kniff im Licht des Flurs die Augen zusammen und schaute automatisch nach oben; sein Blick wurde vom Ton von Fiona Xs Satzfetzen angezogen. Beim Anblick ihrer Maske wurde sein Gesicht ausdruckslos, und er hatte innerlich schneller umgeschaltet, als er zu ihr hingeschaut hatte. »Du«, sagte er, den Blick wieder auf Chevette gerichtet, »Chevy.
    Rein hier.«
    »Wart auf mich, Sammy Sal«, sagte sie.
    Bunny Malatesta war dreißig Jahre lang Fahrradbote in San Francisco gewesen und wäre immer noch einer, wenn seine Knie und sein Rücken ihn nicht im Stich gelassen hätten. Er war gleichzeitig das Beste und das Schlechteste an der Arbeit bei Allied. Das Beste, weil er einen Fahrradplan der Stadt hinter den Augen hatte, der alles schlug, was ein Computer hervorbringen konnte. Er kannte jedes Haus und jede Tür und wußte, wie es dort mit der Security aussah. Bunny beherrschte den Botenjob aus dem Effeff, und was noch besser war, er kannte die Legenden, die Geschichte, die ganzen Stories, die einem vermittelten, daß man an etwas beteiligt war, das die Mühe lohnte, so verrückt es auch sein mochte. Er war selbst eine Legende, dieser Bunny; im Verlauf seines Fahrerlebens hatte er sein Emblem in die Windschutzscheiben von sieben Streifenwagen geritzt, ein Rekord, der immer noch stand. Aber aus den 155
    gleichen und noch mehr Gründen war er auch das
    Schlechteste, weil man ihm kein dummes Zeug erzählen konnte. Bei jedem anderen Vermittler konnte man sich hin und wieder ein wenig mehr Luft verschaffen. Aber nicht bei Bunny. Der wußte einfach Bescheid.
    Chevette folgte ihm hinein. Er machte die Tür hinter ihr zu. Die Telebrille, die er zum Vermitteln benutzte, baumelte ihm um den Hals; ein gepolstertes Okular war mit Zellophanband verklebt. Der Raum hatte keine Fenster, und Bunny ließ das Licht aus, wenn er arbeitete. Ein halbes Dutzend Farbmonitore war im Halbkreis vor einem schwarzen Drehsessel angeordnet, auf den Bunnys pinkfarbene Kreuzbeinschoner-Rückenstütze aus Gummi geschnallt war, die wie eine riesige, geschwollene Larve aussah.
    Bunny rieb sich mit den Handballen das Kreuz. »Die Bandscheibe bringt mich um«, sagte er, nicht direkt an Chevette gewandt.
    »Du solltest mal Sammy Sal ranlassen«, schlug sie vor. »Der kriegt das hin.«
    »Die ist schon hin, Schätzchen. Das isses ja. Jetzt erzähl mir mal, was du gestern abend drüben im Morrisey gemacht hast. Und ich will 'ne gute Geschichte von dir hören.«
    »Was hingebracht«, sagte Chevette wie automatisch.
    Nur auf diese Weise hatte sie eine Chance, wenn sie lügen und damit durchkommen wollte. Sie hatte halbwegs mit so etwas gerechnet, aber nicht so schnell.
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    Sie sah zu, wie Bunny die Brille abnahm, ausstöpselte und oben auf einen der Monitore legte. »Wie kommt's dann, daß du dich nicht abgemeldet hast? Sie haben uns deswegen angerufen und gesagt, du

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