Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
Vom Netzwerk:
Muttermalen über­säten Haupt. Unter den Augen hingen bläuliche Tränensäcke und er hatte einen ausgeprägten Buckel. Ausgeprägt war dabei noch eine Untertreibung. Sein Rücken ragte über seinen Kopf, sodass er wie ein menschgewordenes Fragezeichen aussah.
    Als ich vierzehn war, hatte ich ihn einmal quer durch die City fahren müssen, um seinen Lieblingstabak einzukaufen (raucherfreundliches Vanilla Cavendish anstelle der »Mistmarke, die an der Ecke verkauft wird«). Dass ich noch keinen Führerschein hatte, war ihm egal gewesen. Dass ich nicht Auto fahren konnte, hatte ihn ebenfalls nicht weiter gestört. Ich hatte erst nachgegeben, als er gedroht hatte, sich selbst hinter das Steuer zu klemmen, obwohl er gerade an beiden Augen den grauen Star wegoperiert bekommen hatte.
    Und dann war da noch das eine Mal letztes Jahr, als ich so lange Wodka trinken musste, bis ich vollkommen betrunken war, damit ich Schostakowitsch richtig verstehen lernte und alle anderen russischen Komponisten dazu und außerdem begriff, warum man sich das Trinken für die Feiern nach einem Auftritt aufheben sollte. Ich erinnere mich dunkel daran, dass er etwas gesagt hatte wie: »Freunde erlauben Freunden nicht, betrunken auf Bühne zu gehen.« Anschließend lag ich auf seinem Sofa und sah mir so eine blöde Promi-Tanzsendung im Fernsehenan. Er fuhr mich nach Hause und übergab mich Diana mit einem Schulterzucken als Erklärung. Diana nahm es ohne mit der Wimper zu zucken hin. Talentiert zu sein hieß eben auch exzentrisch zu sein und sie behandelte Juri mit entsprechender Nachsicht. Sie steckte mich ins Bett, stellte eine Röhre Aspirin und eine Flasche Wasser auf meinen Nachttisch und machte Clark weis, dass ich mir den Magen verdorben hatte.
    Die Bahn schlingerte und wurde langsamer. Das Pärchen, dasmir gegenüber saß, stand auf und ich bemerkte die Ringe, die das Mädchen an einem Finger trug, als sie nach der Stange vor mir griff. Sie hatte zwei, plus einen Daumenring. Sie sahen cool aus: Silber mit außergewöhnlichen, übergroßen Steinen in verschiedenen Farben. Ich trug keine Ringe – sie mehrmals am Tag zum Üben abzunehmen schien die Mühe nicht wert –, aber wenn, hätte ich mir ähnliche ausgesucht.
    Als sich die Türen öffneten, ließ sie sich von ihrem Freund nach draußen schieben. Er hatte die Hände auf ihre Hüften gelegt. Irgendetwas faszinierte mich an ihrem Gang. Sie sah so selbstsicher aus, obwohl sie gerade am Hüftknochen durch die Menge navigiert wurde.
    Juris Haltestelle war die nächste. Ich holte tief Luft. Die mentale Vorbereitung war das Wichtigste.
    Juri konnte einem ganz furchtbar Angst einjagen, aber nur, wenn man es zuließ, und das tat ich nicht mehr. Früher war ich in Tränen ausgebrochen, wenn er mich angeschrien hatte. Schock, Scham, Wut – ich hatte aus allen drei Gründen geweint, bis ich festgestellt hatte, dass mein Geheule alles noch schlimmer machte. Damals war ich zu jung gewesen, um es besser zu wissen.
    Es war erniedrigend, mich daran zu erinnern, wie verletzbar ich war. Damals war ich klein und zerbrechlich gewesen und hatte die Tränen nicht zurückhalten können. Sie waren über meine Wangen hinuntergelaufen und auf den Holzboden getropft. Ich hatte nicht mehr spielen können, sondern mir die Tränen mit dem Ärmel aus den Augen und von der Nase gewischt. Danach setzte ich die Geige erneut an und machte weiter …
    Jetzt war alles eine Frage der Kontrolle. Ich konnte die Beleidigungen einfach ausblenden, die Art, wie Juris fleischige Tränensäcke lila-rötlich anliefen, wie sich seine verknoteten Finger verkrampften und zitterten. Das war alles vollkommen unwichtig. Aber das, was er tatsächlich über die Musik sagte – das war reines Gold. Er wusste immer ganz genau, was zu tun war.
    Die Bremsen quietschten, als die Bahn das Tempo reduzierte. Ich lehnte mich vor und die Broschüre über den Wettbewerb rutschte von meinem Schoß auf den nassen Boden. Ein dunkler Wasserfleck erblühte auf dem Papier und die Namen verschwammen. Erst ­Jeremys, dann meiner.
    Juris Apartment befand sich hinter der letzten Tür am Ende eines Korridors mit vergilbten grünen Tapeten. Die Parade der verschiedenen Essensgerüche vom Aufzug bis zu seiner Tür brachte mich von China über Indien bis Mexiko, mit stetig anwachsenden Untertönen aus der Ukraine. Knoblauch und Kohl übertrumpften die stechendsten Gerüche jeglicher Küche. Für Juri waren sie eine Quelle des Nationalstolzes.
    Ich hielt

Weitere Kostenlose Bücher