Virtuosity - Liebe um jeden Preis
klaffte ein riesiges Loch zwischen Festtagskleidung und Schlafanzügen. Es war schon schwer genug gewesen, am Sonntag ein halbwegs akzeptables Outfit zusammenzusuchen. Ich besaß Jeans und T-Shirts, aber nichts besonders Hübsches.
»Keine Sorge, du kannst dir was von mir leihen. Wann und wo triffst du dich mit ihm?«
»Um halb sechs im Drake«, antwortete ich. »Oder besser gesagt im Lavazza.«
»Lavazza?«
»Das ist der Coffee-Shop neben dem Drake.«
»Sei um zwei bei mir. Ich werde deine gute Fee sein.«
»Ist das nicht ein bisschen zu früh?«
»Sich auf ein Date vorzubereiten dauert eben, glaub es mir.«
»Diana ruft bestimmt bei dir an«, warnte ich sie.
»Das ist okay. Ich kann gut lügen.«
»Aber was ist, wenn sie es herausbekommt?«
Für einen Augenblick blieb es am anderen Ende der Leitung still.
»Dann wird sie mich wahrscheinlich rausschmeißen.«
Ich zögerte. Das war nicht fair. Ich hätte sie nicht darum bitten dürfen, mein Alibi zu sein.
»Das macht doch nichts, Carmen«, sagte sie sanft. »Es ist ja sowieso fast vorbei. Du weißt schon, Juilliard im Herbst.«
Ich sank zurück auf das Kissen und schloss die Augen. Ich hatte noch gar nicht richtig über Juilliard nachgedacht – es war einfach nur der nächste logische Schritt in meiner Karriere. Aber als Diana davon gesprochen hatte, es aufzuschieben, hätte ich ihr am liebsten mein Französischbuch an den Kopf gedonnert.
»Also kommst du am Mittwoch um zwei zu mir?«, vergewisserte Heidi sich.
»Du bist die Allerbeste. Danke dir.«
»Bedank dich nicht«, entgegnete sie. »Weißt du überhaupt, wie lange ich dir schon ein Makeover verpassen wollte?«
»Ich glaube nicht, dass das ein Kompliment ist. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Nein, du solltest dich drauf freuen.«
Ich sah aus dem Fenster auf die Straße, wo das Taxi angehalten hatte und Jeremy und ich uns geküsst hatten. »Das tue ich.«
Ich legte auf und betrachtete mich im Spiegel. Sie wollte mir schon lange ein Makeover verpassen?
Ich nahm meine dunklen, lockigen Haare und steckte sie mit einer Spange hoch. Ich hatte Dianas Augen, grasgrün und mandelförmig, aber meine Nase war ein wenig zu groß und mein Kinn ein wenig zu spitz. Daran konnte kein Makeover der Welt etwas ändern.
Aber Jeremy gefiel ich auch so, oder etwa nicht? Ich lächelte. Das tat ich.
Es sei denn, ich gefiel ihm doch nicht. Und plötzlich hörte ich Dianas Stimme in meinem Kopf. Die meisten würden alles tun, um zu gewinnen …
»Lass es uns noch mal durchsprechen«, schlug Heidi vor, während sie die Wimpern meines linken Auges tuschte. Ihr Gesicht war unangenehm dicht vor meinem. Ich konnte nirgendwo sonst hinsehen, also versuchte ich, mich auf die Falte zwischen Nasenflügel und Wange zu konzentrieren, damit ich ihr nicht direkt in die Nasenlöcher starren musste. »Du triffst dich um halb sechs und fährst mit ihm zum Red-Line-Stadion. Das Spiel geht von zehn nach sechs bis – ich weiß nicht so genau – halb zehn? Wann beginnt die Wohltätigkeitsgala deiner Mom noch mal?«
»Cocktails um acht, Dinner um neun.«
»Hmmm …« Sie legte die Wimperntusche zurück auf den Tisch und langte nach dem Lippenstift. »Dinner um neun und sie ist Mitglied des Organisationskomitees?«
Ich nickte.
»Hey, habe ich dir etwa erlaubt deinen Kopf zu bewegen?« Sienahm ein Papiertaschentuch und tupfte den verwischten Lippenstift weg. »Wohltätigkeitsgalas dauern eine Ewigkeit. Sie ist garantiert nicht früher als zwölf fertig, was bedeutet, dass du dann wieder hier sein musst. Also, mit dem blöden Kopfnicken hast du echt deinen Lippenschwung versaut.«
»Mitternacht. Das schaffe ich, aber ich glaube nicht, dass sie vorbeikommt. Sie ist vollkommen mit diesem Dinner beschäftigt. Der Name Jeremy King ist seit vier Tagen nicht mehr in unserem Haus gefallen. Sie denkt, ich glaube ihr, dass er mich bloß vom Wettbewerb ablenken will.«
Heidi biss sich auf die Lippe und spritzte Make-up-Entferner auf ein weiteres Papiertaschentuch. »Aber du glaubst es nicht?«
»Nein. Nicht, nachdem wir im Jazzclub waren. Vielleicht sollte ich es aber zumindest in Erwägung ziehen.«
»Irgendwie schon lustig«, erwiderte sie. »Die meisten Mädchen müssen sich Sorgen machen, dass Typen nur das eine wollen, aber du musst dir Sorgen machen, falls er es nicht will. Bei dir läuft wirklich nichts normal, oder?«
Ich antwortete nicht. Manchmal tat Heidis Fähigkeit, den Nagel auf den Kopf zu treffen, ganz
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