Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Spaß.«
Ich umarmte sie. »Ich werd’s versuchen.«
Der Bus, den ich von Heidis Wohnung aus zum Drake nahm, schwankte hin und her und quietschte laut. Ich stand auf und drängelte mich zur Tür vor, obwohl es noch zwei Haltestellen bis zu meiner waren. Dabei klammerte ich mich an jede Stange in Reichweite. Mir wurde langsam schlecht. Heidi hatte recht gehabt: Es wäre ein Fehler gewesen, zu früh aufzutauchen.
Als ich ausstieg, sah ich nichts als Tulpen. Ich hatte vollkommen vergessen, dass im April über Nacht Tausende von Tulpen auf der Michigan Avenue aufblühen – die sogenannten Tulpentage. Die Explosion von Purpur- und Mandarinentönen war schwindelerregender als die Busfahrt, ein Meer aus sich wiegenden roten Köpfen, die um mich herumhüpften.
Ich schlängelte mich zwischen den Tulpen und Leuten, die mit Einkaufstüten bepackt waren, hindurch und registrierte im Vorbeigehen Dianas Lieblingsläden: Saks Fifth Avenue, La Perla, Tiffany & Co., Ralph Lauren, Gucci, Louis Vuitton. Michigan Avenue war ein Paradies der Luxuslabels.
Als ich die gotische Fassade der Fourth Presbyterian Kirche sah, fiel mir sofort der versteckte Innenhof ein. Zwar hatte ich dort schon öfter Konzerte gegeben, war aber noch nie ohne meine Geige dort gewesen. Oder allein.
Ich sah auf die Uhr. Es war 17:18 und das Drake war nur einen Häuserblock entfernt. Ich überquerte die Straße und schlüpfte durch den eleganten Steinbogen, der in den menschenleeren Innenhof führte. Die plötzliche Stille hing schwer in der Luft. Langsam schlenderte ich auf den Springbrunnen zu und sah mich dabei um. Smaragdgrüner Efeu rankte an den Steinmauern empor und schien bis in den Himmel wachsen zu wollen. Er wirkte so lebendig, dass ich ihn einfach berühren musste. Die Sonnenstrahlen hatten ihnerwärmt. Aus irgendeinem Grund übte der Efeu einen Zauber auf mich aus und beruhigte mich. Er verschluckte den Lärm, den der Verkehr und die Passanten auf der anderen Seite der Mauer verursachten. Nur ein paar Schritte und schon existierten sie nicht mehr.
Ich wurde zurück in die Gegenwart katapultiert, als es in meiner Handtasche brummte. Lass es nicht Jeremy sein , betete ich sofort. Ruf nicht an und sag ab . Ich wühlte nach meinem Handy und dachte fieberhaft über eine angemessene Reaktion nach. Sollte ich am besten vollkommen gleichgültig klingen oder ihm sogar zuvorkommen? Mein Finger lag schon auf dem Antwortknopf, als ich auf das Display blickte.
Es war Dianas Nummer.
Ich atmete zitternd aus.
Es hätte schlimmer kommen können. Ich hätte bereits mit Jeremy im Stadion sitzen können. Dann hätte er mit angehört, wie ich meine Mutter anlog und sich gefragt, warum er seine Zeit mit einer Zwölfjährigen verbrachte. Das Handy brummte noch mal. Was sollte ich bloß sagen, falls sie mit Heidi sprechen wollte? Sie ist gerade im Bad . Und was wäre, wenn sie aus irgendeinem Grund vor der Wohltätigkeitsgala vorbeikommen wollte? Wir sind gerade auf dem Sprung zum Restaurant. Das würde vielleicht hinhauen. Das Handy brummte wieder. Beim nächsten Mal würde der Anrufbeantworter anspringen. Sie würde sich Sorgen machen und wahrscheinlich sofort zu Heidi fahren. Ich drückte auf den Antwortknopf.
»Hi.« Meine Stimme klang unnatürlich hoch.
»Amüsiert ihr euch gut?«, fragte Diana.
»Ja.«
»Prima. Und was genau habt ihr zwei heute Abend vor?«
»Wir wollen gleich essen gehen und dann zum Spiel.«
»Klasse. Kann ich bitte mal eben mit Heidi sprechen?«
Mein Herz klopfte wild. Ich holte tief Luft. »Ähm, die ist gerade im Bad.«
Es folgte eine kurze Pause. Dann fuhr sie mit demselben unbekümmerten Tonfall fort. »Kann sie deshalb nicht mit mir sprechen? Oder liegt es vielleicht daran, dass sie in ihrer Wohnung sitzt und du ganz woanders bist?«
Bei all meinen Überlegungen, was die Natur Gottes anging oder ob Gott überhaupt existierte, vergaß ich manchmal, dass es noch eine weitere Möglichkeit gab: Diana war Gott . Wie konnte sie sonst so verdammt allwissend sein?
»Ich nehme an, Heidi hat sich die Badezimmer-Ausrede einfallen lassen, denn sie hat gesagt, dass du gerade im Bad seist, als ich sie eben in ihrer Wohnung angerufen habe.«
Ich stöhnte auf. Heidi und ich hatten gar nicht über irgendwelche Ausreden gesprochen! Warum war es so schwer für Diana zu glauben, dass ich gelegentlich selbst nachdachte?
»Wo bist du?« Ihr Ton war vollkommen geschäftsmäßig.
Ich blickte auf das Netz aus Efeu. Die frühe
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