Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Abendsonne hatte den Stein darunter in ein rosa schimmerndes Braun getaucht. Hatte Heidi vielleicht alles gebeichtet? »In der Kirche«, antwortete ich.
»Wie bitte?«
Sie würde sicher an die Saint-Clement-Heilige-Katholische-Kirche denken, die wir zuverlässig fünfzig Wochen im Jahr ignorierten. Warum sie aufklären?
»Was hast du jetzt in einer Kirche verloren? Glaubst du wirklich, dass ich dir das abnehme? Bist du gerade bei Jeremy King?«
Falls Heidi ihr bereits gestanden hatte, dass ich mich mit Jeremy traf, war jede Lüge zwecklos. Vielleicht versuchte sie, mir eine Falle zu stellen. Aber schließlich war ich nicht bei Jeremy. Noch nicht.
»Nein.«
»Das glaube ich dir nicht. Und du bist ganz sicher nicht in der Kirche. Was denkst du dir nur, Carmen?« Ihre Stimme brach, als sie meinen Namen aussprach. Sie wartete auf eine Antwort, obwohl ihre Frage eindeutig rhetorisch war. Was ich dachte, hatte sie bisher noch nie interessiert. Als sie fortfuhr, war ihre Stimme wieder leise,aber immer noch aufgeregt. »Ich dachte, du hättest unser Gespräch über Jeremys Motive beherzigt. Da lag ich wohl falsch.«
»Du liegst falsch«, entgegnete ich. »Aber nicht, was mich betrifft, sondern ihn.« Wem gehörte diese Stimme? Sie klang wie meine, aber mit Rückgrat.
Ich sah regelrecht vor mir, wie Dianas winzige Nasenflügel bebten. »Meinen Rat als Mutter zu ignorieren ist eine Sache, aber als deine Managerin befehle ich dir, dich nicht wie ein Kleinkind zu benehmen und umgehend nach Hause zu kommen.«
Andernfalls? Sie sprach nicht einmal eine Drohung aus. Verlangte sie von mir, dass ich ihr gehorchte, nur weil sie sauer war und weil ich für gewöhnlich genau das tat, was mir gesagt wurde?
Mein Blick folgte einer Efeuranke, die sich himmelwärts über den Stein schlängelte. Ich konnte Jeremy anrufen und mir eine Ausrede einfallen lassen. Oder ihm einfach die Wahrheit sagen. An diesem Punkt machte es nichts mehr aus. Ich konnte zurück an die Michigan Avenue gehen, ein Taxi rufen, innerhalb von fünfzehn Minuten zu Hause sein, ein oder zwei Stunden üben und um neun im Bett liegen.
»Das geht leider nicht«, antwortete ich.
» Carmen …«
»Nein. Ich habe was vor. Ich werde vor Mitternacht zu Heidi zurückgehen und morgen früh nach Hause kommen.«
Ich legte auf, ehe ich ihre Antwort hören konnte.
Dann stellte ich mein Handy aus.
Kapitel 13
»Langsam habe ich mir schon Sorgen gemacht«, grinste Jeremy und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, der unter einem der roten Lavazza-Sonnenschirme stand.
Er sah allerdings überhaupt nicht so aus, als hätte er sich Sorgen gemacht. Seine Haare waren vom Wind zerzaust und er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgeschoben. Vor ihm stand ein fast leeres Glas auf einem halb fertigen Kreuzworträtsel; nur eine Pfütze Schokolade war auf dem Boden übrig geblieben. »Das hier ist ab sofort ganz offiziell mein Lieblingsladen«, sagte er und deutete zurück auf das Café.
Das Lavazza befand sich, zusammen mit einem Juwelier und einer Handvoll exklusiver Boutiquen, direkt neben dem Hoteleingang. Hinter Jeremy flatterte die Markise des Drake im Wind und ein Portier schob vor der gläsernen Drehtür Wache.
»Meine Großeltern steigen immer im Drake ab, wenn sie nach Chicago kommen«, erklärte ich. »Ich habe schon im Hotelrestaurant gegessen, aber ich war noch nie hier draußen.« Ich blickte durch das Schaufenster auf die Behälter mit glänzendem Gelato und tat, als bemerkte ich nicht, dass er mich anstarrte.
»Sorbetto cremespresso.« Er schlug mit dem Bleistift, den er in der Hand hielt, gegen das leere Glas. »Ich bin abhängig von dem Zeug. Wahrscheinlich ist es einfach nur Eiskaffee, aber mit so einem Namen können sie glatt das doppelte Geld verlangen.« Er erhob sich und ließ den Bleistift in seine Hosentasche gleiten. Die Jeans und das Rugbyshirt standen ihm gut. Er war schlank und doch muskulös.
»Du siehst irgendwie anders aus«, sagte er plötzlich und blinzelte mich an.
Ein Nicht-Kompliment. Na toll. »Danke. Ich wollte schon immer gesagt bekommen, dass ich irgendwie anders aussehe. Können wir dann?«
»Deine Haare«, fuhr er fort. »Sie sind glatt.«
Ich zuckte die Achseln. »Manchmal glätte ich sie eben.« Er musste ja nicht wissen, dass das erste Mal dieser Manchmals heute war. Ich überprüfte kurz den V-Ausschnitt meines Pullis, um sicherzugehen, dass mein BH nicht zu sehen war, und fühlte mich plötzlich wie eine Barbiepuppe, die von
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