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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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würden, und war nicht gewillt, sich vor ihr zu drücken.
    Stets hatte er eine Lücke
gefunden, hatte er Kunden mit seiner Flexibilität überzeugen können, hatte er
den Großen kleine Krümel von ihrem Kuchen weggegessen. Doch dann war ein
zweiter Gegner hinzugekommen, ein Gegner, dem René mit seinem kleinen
Unternehmen einfach nicht gewachsen war: der sprunghafte Anstieg der Treibstoffpreise.
Vor zwei Monaten schließlich hatte er keinen Ausweg mehr gesehen und kurz vor
der Unterschrift unter einen Übernahmevertrag gestanden. Der Preis war
selbstverständlich ob seiner Zwangslage nicht mehr halb so hoch wie noch zu
guten Zeiten gewesen, doch eine Wahl schien René nicht mehr gehabt zu haben.
    Doch dann war eines Tages dieser
Mann bei ihm aufgetaucht, sein Erlöser, ein wahrer Engel. Der Mann hatte wenig
gefordert und viel geboten. Er wollte einen Sattelauflieger mieten und sechs
Wochen lang auf dem Hof von Renés Firma abstellen. Diesen Hänger sollte René
dann zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Datum zu einem
bestimmten Ort bringen. Das war alles.
    René hatte sich kundig gemacht
und erfahren, dass der Ort, zu dem der Auflieger gefahren werden sollte, für
Lkw nicht zugelassen war, und dass er mit einer Geldbuße in Höhe von dreißig
Euro für die Ordnungswidrigkeit und unter Umständen mit Abschleppkosten zu
rechnen habe. Der Betrag, auf den er nach Aufaddieren sämtlicher möglicher
Kosten kam, mutete allerdings nahezu lächerlich an im Vergleich zu der
Viertelmillion, die ihm sein Auftraggeber geboten hatte, und von der er die
erste Hälfte sogar sofort erhalten hatte.
    Auf weitergehende oder gar
existenzgefährdende Konsequenzen hatte er keine Hinweise finden, das Geld zum
Füllen seiner Kriegskasse aber gut gebrauchen können. Also hatte er zugesagt.
    Die strahlende Sonne und die
Aussicht auf die zweite Hälfte seiner Entlohnung versetzten René in eine nahezu
euphorische Stimmung, während er seinen Sattelzug durch die viel zu engen
Gassen von Petersdamm manövrierte. Im Wissen, dass das Erreichen des
Marktplatzes nicht ganz einfach werden würde, hatte er ein wenig Karenz
eingeplant und würde trotz des nur schleichenden Vorwärtskommens sein Ziel
pünktlich um 15:45 Uhr erreichen – exakt wie von seinem Auftraggeber verlangt.
    Kaum, dass er mit seinem Zug den
Marktplatz des beschaulichen Ostseedörfchens erreicht hatte, kam ihm eine ganze
Horde von Polizisten in voller Kampfmontur entgegen und signalisierte ihm,
anzuhalten. Natürlich hatte René in den Nachrichten alles über den G8-Gipfel
und auch über die von den Medien so bezeichneten ‚Gipfelmorde’ gehört, doch mit
diesem Empfang hatte er nicht gerechnet, zumal der Ortskern fast einen
Kilometer vom eigentlichen Gipfelaustragungsort entfernt lag.
    Es half alles nichts, eine
Viertelmillion war eine Viertelmillion. Das Bußgeld würde sich mit Sicherheit
erhöhen, wenn sich Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu der
Ordnungswidrigkeit gesellte, doch im Vergleich zu seiner Belohnung wäre es noch
immer unscheinbar klein. Zudem war der Kunde König.
    Plötzlich sah René sogar eine
Fernsehkamera auf sich gerichtet und erkannte neben dem Kameramann die
Boulevard-Reporterin Tanja Franke. Was machte die denn hier? Eigentlich egal.
Vielleicht stellte sie sich die gleiche Frage über ihn und würde ihn interviewen.
Die Aussicht, der hübschen Moderatorin vis-à-vis gegenüberzutreten und sich
sogar mit ihr zu unterhalten spornte ihn weiter an, nicht vor den Polizisten
klein beizugeben. Er war ein Mann, ein echter Mann. Kein Polizist dieser Welt
konnte ihn aufhalten.
    Die Aufregung und Hektik nahm mit
jedem Zoll, den er weiterfuhr, zu. Ein Beamter machte Anstalten, mit seiner
Dienstpistole auf einen der Reifen zu schießen, doch ein anderer schlug ihm den
Waffenarm nieder, lautstark darauf verweisend, dass mit platzenden LKW-Reifen
nicht zu spaßen sei und dass ein solcher innerhalb dieser Menschenansammlung
wahrscheinlich Schwerverletzte und womöglich sogar Tote nach sich ziehen würde.
    Die Luft flirrte förmlich vor
Spannung, vor Ladung, doch von all dem ließ René Breuer sich nicht beirren. Er
saß in seiner kleinen Oase der Ruhe, in seinem Führerhaus über dem Chaos und steuerte
seinen Sattelzug in Seelenruhe und Kriechgeschwindigkeit weiter bis er die
Mitte des Marktplatzes erreicht hatte. Er blickte auf die Uhr. 15:43 Uhr. Sein
Auftrag war erfüllt. Jetzt konnte er sich mit den Polizisten und mit Tanja
Franke

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