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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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ihren
Beruf ihren Glauben verkauft, für eine Story ihren Herrn verraten.
    Warum konnte er sie nicht bestrafen?
Warum nicht alle? Weil Gott ihm lediglich aufgetragen hatte, eine weitere
Warnung an die Menschheit zu richten. Wozu? Reichte die erste Warnung, die Er
Johannes vor fast zweitausend Jahren in einem Traum diktiert hatte, nicht aus?
Man warnte, und wenn sich die Gewarnten nicht an die Warnung hielten, dann
hatten sie die Konsequenzen zu tragen. So funktionierte das. Doch Gott sah das
anders und wer war er, die Entscheidung des Herrn anzuzweifeln? Somniak mochte
eine andere Sicht der Dinge haben, doch selbstverständlich konnte diese nur
daraus resultieren, dass er nicht über Sein göttliches Verständnis der
Welt verfügte.
    Eine Allegorie schoss ihm durch
den Kopf, als er auf das Meer seiner jubelnden Zuschauer blickte, und
verursachte einen erneuten Anflug von Übelkeit. Er hatte eine Botschaft zu verkünden,
wie einst Christus der Herr, und diese Mediengeier waren auserwählt, sie in die
Welt hinaus zu tragen. Machte sie das zu seinen Jüngern? Immerhin glaubten sie
an ihn. Wie viele mochten es sein? Zwölfhundert?
    Somniak wischte den Gedanken
beiseite. Er sollte sich besser auf das konzentrieren, was unweigerlich kommen
würde.
    –––––
    Wo war oben? Wo war unten? War es
Tag oder Nacht? Lebte er noch? War die Welt untergegangen?
    Dies konnte unmöglich das Nirwana
sein, doch so etwas wie eine Hölle gab es für Buddhisten nicht wirklich. Die
Hölle war das Leben, das Leid des Seins, von dem man Erlösung suchte. Also
musste er noch leben.
    Professor Tran Quoc Tuan wusste
nicht, wann er das letzte Mal Licht gesehen hatte. Er wusste nicht einmal, wann
er das letzte Mal überhaupt etwas gesehen hatte. War es eine Woche her? Einen
Monat? Vielleicht ein ganzes Jahr? Schwer zu sagen. Schließlich wusste er ja
nicht einmal, wie er hierher gelangt war.
    Das Letzte, woran er sich
erinnerte, war, dass er zu einem Kongress nach Manchester gefahren war. Am
letzten Abend der Veranstaltung war er nach der Abschlussfeier leicht
beschwipst ins Bett gegangen. Er hatte nie viel getrunken, aber er brauchte
auch nicht viel zu trinken, um den Alkohol zu spüren.
    Am nächsten Morgen war er –
vermeintlich – in dieser Dunkelheit aufgewacht. Vermeintlich deshalb, weil er
sich nicht sicher sein konnte, überhaupt aufgewacht zu sein. Vielleicht schlief
er noch und dies alles war nichts als ein böser Traum. Vielleicht hatte er auf
seiner Reise ins Nirwana irgendwo einen falschen Abzweig genommen und war in
einer dunklen Zwischenwelt gelandet. Wer konnte das schon wissen.
    Alles, was er mit Sicherheit
wusste, war, dass seine Welt – ob nun Traumwelt, Zwischenwelt oder was auch
immer – rechteckig, bequem ausgepolstert und ebenso licht- wie geräuschlos war.
Befand er sich in einem Schwarzen Loch, jenen galaktischen Phänomenen, die
durch eine unvorstellbare Verdichtung von Materie eine solche Gravitation
erzeugten, dass sie sogar Licht zu krümmen vermochten? Unwahrscheinlich. Er
hatte nie davon gehört, dass Schwarze Löcher sich durch Rechteckigkeit und
bequeme Polsterung auszeichneten.
    Er befand sich in einer Welt ohne
Wahrnehmung. Optischer und akustischer Reize beraubt, hatte sich auch sein
Tastsinn verflüchtigt, nachdem er endlos lange – so in etwa sieben bis
dreihundert Tage lang – nichts als eine weiche, glatte Auspolsterung gefühlt
hatte. In einer Art Selbstschutzfunktion hatte sein Gehirn offenbar die
Verarbeitung olfaktorischer Reize eingestellt, denn schließlich befand er sich
inmitten seiner eigenen Exkremente. Der Geschmackssinn war mit dem Geruchssinn
weitestgehend verschwunden, schließlich hatte der Mensch nur Rezeptoren für
bitter, sauer, süß, salzig und umami, eine Art herzhaft fleischigen Geschmacks.
Alle übrigen Geschmacksempfindungen waren ein Zusammenspiel aus gustatorischen
und olfaktorischen Reizen und letztere nahm er eben nicht mehr wahr. Es störte
ihn allerdings nur geringfügig, nicht zu wissen, wie er schmeckte.
    An die Schmerzen hatte er sich ebenfalls
mit der Zeit gewöhnt, so dass er sie kaum noch empfand. Wahrscheinlich hatte
sich das Schmerzzentrum seines Hirns irgendwann einfach abgeschaltet. Anfangs
war die Nahrungsaufnahme noch äußerst schmerzhaft gewesen, doch inzwischen
spürte er sie kaum noch.
    Er nahm einen weiteren Bissen von
seinem Unterarm und setzte seine Überlegung, in welch unbekanntes Mysterium er
da vorgedrungen war, fort. Hatten andere Menschen vor

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