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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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gnädig”, erwiderte
Holger trocken.
    „Seine Gnade hat ein Ende.” Mit
weit aufgerissenen Augen starrte Somniak geradeaus, doch eine ausdruckslose
Leere in seinem Blick ließ erahnen, dass er weder Holger noch die Kriminalistin
neben ihm fixierte.
    „Ich war mir allerdings nicht
gewahr, Gottes Gebote missachtet zu haben”, wandte Holger ein. „Mich dünkte,
Sie wären derjenige gewesen, der drei Menschen umgebracht hat.”
    „Vier.”
    „Drei, Herr Somniak. Monsieur
Trébor ringt noch mit dem Tod”, mischte sich Herforth ein.
    „Er wird sterben.”
    „Was macht Sie so sicher?”
    „Weil es Gottes Wille ist.” In
Somniaks Stimme lag ebenso wenig Ausdruck wie in seinem Blick. Es wirkte fast,
als spreche er in einer Art meditativer Trance, aus einer höheren
Wahrnehmungsebene heraus.
    „Die kaltblütige Ermordung seiner
Schöpfung, sagen Sie, solle Gottes Wille sein?” fragte Holger mit leicht
provokantem Tonfall.
    „Ja, die Menschheit ist Seine
Schöpfung”, erwiderte Somniak. „Aber sie ist undankbar und lebt nicht nach
seinen Geboten. Ich habe ihm angeraten, die Apokalypse über die Erde hereinbrechen
zu lassen, doch er entschied sich, den Menschen noch eine letzte Warnung
zukommen zu lassen.”
    „Wieso jetzt? Die Menschheit
sündigt seit Anbeginn”, fragte Holger.
    „Das tut sie. Doch zum ersten Mal
lehnt sie sich gegen eine göttliche Strafe auf, gegen eine Strafe zur Sicherung
Seiner Macht.”
    „Die Babylonische
Sprachverwirrung”, vollendete Holger Somniaks Gedanken und warf einen kurzen
Blick auf Herforth, die ihm aufmunternd zunickte. Offenbar gefiel ihr die
Entwicklung des Gesprächs und sie hatte keinerlei Bedürfnis, sich einzumischen.
    „Gott duldet keine Auflehnung
wider Seinen Willen”, sagte Somniak. „Hat Er das denn nicht oft genug bewiesen,
dass es der Menschheit eine Warnung sein sollte? Die Vertreibung aus dem
Paradies, das Kainsmal, die Zerstörung Sodoms und Gomorrhas, die Sintflut – wer
sich Seinem Willen widersetzt, wird bestraft.”
    „Aber schloss Gott nicht nach der
Sintflut einen Pakt mit Moses, nie wieder das Leben auf Erden zu vernichten?”
wandte Holger ein.
    „Der Wortlaut des Pakts ist, dass
Gott nie wieder alles Leben auf Erden vernichten werde”, erwiderte
Somniak, wobei das Wort ‚alles’ die erste merkliche Emphatisierung in der
Monotonie seine Prosodie darstellte.
    „Aber es ist auch nicht Gottes
Plan, alles Leben auf der Erde auszurotten”, fuhr der Killer fort. „Wenn diese
letzte Warnung, zu der er mich entsandt hat, nicht fruchtet, dann wird er
lediglich die Menschheit ausrotten. Das übrige Leben auf Erden findet – und
hier liegt der Unterschied zur Sintflut – Verschonung.”
    Holger lachte laut auf. „Somit
ist Gott also der erste Winkeladvokat der Geschichte. Und ich dachte immer,
Anwälte entstammten den Tiefen der Hölle.”
    „Als Herrscher über Himmel und
Erde muss man sich eben Optionen offen halten”, erwiderte Somniak ernst und
leise.
    Es dauerte eine kurze Weile, bis
Holger sein Lachen beendet hatte. Er blickte zu Herforth hinüber, die ebenfalls
leicht schmunzeln musste, aber offenbar nicht ganz die gleiche Belustigung
hierüber empfinden konnte. Vielleicht war es ein Theologenwitz. Oder sogar nur
einer für atheistische Theologen? Wie auch immer.
    „Kommen wir zurück zum Turmbau zu
Babel”, sagte er schließlich, nachdem er sich beruhigt hatte. „Sie sind sich
schon dessen bewusst, dass es sich dabei lediglich um eine Geschichte handelt?”
    „Die genauso passiert ist, wie
sie in der Bibel steht”, fügte Somniak an. Noch immer wirkte er wie in Trance.
    „Herr Somniak, die Bibel ist kein
heiliger Text, sondern ein kanonischer. Sie wird nicht wörtlich zitiert, sie wird
interpretiert.”
    „Ungläubiger”, eine Nuance von
Hass schlich sich in die weiterhin ausdrucksarme Stimme seines Gegenübers.
    „Selbst angesehene Gläubige haben
im Laufe der Jahrhunderte wider die Existenz des Turms argumentiert”, wandte
Holger ein.
    „Ketzer”, murmelte Somniak kaum
hörbar.
    „Der Jesuit Athanasius Kircher
zum Beispiel errechnete anno 1679, dass etwa viereinhalb Millionen Arbeiter
dreitausendvierhundert Jahre lang hätten ununterbrochen arbeiten müssen, um die
angenommenen circa zweihundertsechzigtausend Kilometer bis zum Himmel zu
überbrücken. Das Gewicht des Turms, zu diesem Ergebnis kam Kircher, hätte das
der Erde übertroffen und sie aus dem Mittelpunkt des Universums gerückt.”
    „Ketzer”, murmelte

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