Virus (German Edition)
ihm bereits die gleiche
Reise unternommen? War dies der Weg ins Nirwana? War es eine Prüfung? War er
vielleicht sogar ein Pionier?
Mitten in seine Überlegungen
hinein glaubte er plötzlich einen Ton zu hören, einen Ton so wunderschön, dass
er unmöglich aus der Welt stammen konnte, wie er sie kannte. Halluzinierte er?
Der Ton klang ein wenig nach einer Posaune, doch tausend- und abertausendmal
schöner. Kam seine Reise nun zu einem Ende? Kündigte die Posaune das Nirwana
an? Würde er das Licht sehen?
–––––
Plötzlich kam Bewegung in die
Sache. Obwohl der Posaunenton noch immer andauerte, löste sich die Schockstarre
bei den deutschen Polizisten auf Herforths Befehle hin. Während sie sich rund
um den Laster postierten, um zu sichern, dass niemand die Türen des Aufliegers
öffnete, rannten CIA-Agenten zu Tanja Franke und entrissen ihrem Kameramann
sein Gerät. Die Reporterin protestierte wild gestikulierend, führte an, in eben
diesem Moment finde eine PK statt, weil ein Kollege in seiner Pressefreiheit
eingeschränkt worden sei, doch es half nichts. Die Agenten konfiszierten die
Kamera, ohne ihrem Zetern auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Doch dann geschah das Unfassbare.
Wie von Geisterhand begannen die Türen des Aufliegers sich zu öffnen. Mit aller
Kraft stemmten die Polizisten sich gegen die Flügel, doch es half nichts.
Quälend langsam und doch unaufhaltsam öffneten sie sich und drückten die
verzweifelt gegen sie ankämpfenden Polizisten zurück.
–––––
Lange hatte der Jubel der
anwesenden Reporter gedauert, doch dann hatte er ebenso abrupt geendet, wie er in
dem Moment begonnen hatte, als Jo Somniak die Bühne betreten hatte. Von einer
Sekunde auf die andere war er blankem Entsetzen und Totenstille gewichen, als
aus den immensen Lautsprechertürmen beidseits der Bühne plötzlich der
Posaunenton erklungen war. Gebannt und mit Schrecken in den Gesichtern starrten
seine Verehrer nun nicht mehr auf ihn, sondern auf die Leinwand hinter ihm und
die riesigen Plasma-Bildschirme.
Somniak drehte sich um, um ebenfalls
bezeugen zu können, was jetzt schon ganz Deutschland sah und bald die ganze
Welt sehen würde. Den Tod Professor Tran Quoc Tuans. Es war einer seiner
genialsten Schachzüge gewesen, Tanja Franke die Reportage über den ‚Dorfkrug’
drehen zu lassen. Sie hatte nie erfahren, dass es nicht wirklich ihr Sender
gewesen war, der sie zum Marktplatz geschickt hatte.
Doch dann geschah das Unfassbare.
Männer in dunklen Anzügen gingen plötzlich mit energischen Schritten auf die
Reporterin zu, entrissen ihrem Assistenten die Kamera und schalteten sie aus.
Kurz darauf, Somniak hatte noch in keinster Weise den Schock des Scheiterns
seines Plans verarbeitet, verwies eine Moderatorin auf technische Probleme und
schaltete zur Pressekonferenz um. Plötzlich sah er nicht mehr den Marktplatz
von Petersdamm auf der Leinwand, sondern sich selbst, wie er mit offenem Mund
und Schrecken im Gesicht auf die Leinwand starrte.
Und dann sah er auf eben dieser,
wie zwanzig schwer bewaffnete Polizisten mit gezückten Pistolen die Bühne
stürmten. Er wandte sich um, doch in dem Moment wurde er bereits brutal zu
Boden gerissen. Die Beamten brüllten ihn an, keine Gegenwehr zu leisten, drückten
sein Gesicht auf den hölzernen Bühnenboden, drehten seine Arme auf den Rücken
und fesselten ihn mit Handschellen. Aus den Augenwinkeln konnte er im neunzig
Grad Winkel das Unverständnis auf den Gesichtern seiner Verehrer im Publikum
erkennen. Dann wurde er brutal hochgerissen und abgeführt.
Sie waren ihm auf die Schliche
gekommen. Er hatte keine Ahnung, wie, doch sie hatten ihn enttarnt. Fünfzehn
Minuten zu früh. Sein Plan würde auch ohne ihn weiter funktionieren.
Schließlich war eine Verhaftung nach der Pressekonferenz stets Teil dessen
gewesen. Sein Komplize würde das Begonnene zu Ende führen. Einzig Somniak würde
keine Möglichkeit mehr bekommen, seine Botschaft an die Menschheit zu richten.
Verzeih mir Gott, ich
habe versagt.
–––––
Inzwischen waren die Flügel des
Aufliegers komplett geöffnet, doch ein schwarzer Vorhang störte noch immer den
Blick hinein. Debbie blickte zum Himmel. Eine kleine Wolke schob sich vor die
Sonne. Nicht die Dunkelheit, die den Professor in den letzten sechs Wochen
umgeben hatte, aber immerhin etwas.
„Close your eyes,
Professor!” brüllte sie. „Don’t open them.”
Sie hatte wenig Hoffnung, damit
Erfolg zu haben. Es glich, einen
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