Virus (German Edition)
vor dem Hotel ‚Seeadler’ nach
Gegenständen oder Apparaturen ab, die geeignet waren, einen Menschen zu töten. Natürlich
fand man gefährliche Gegenstände wie Kieselsteine, Bäume oder Fahrzeuge. Doch
nichts deutete auf Vorrichtungen hin, die Steine zu schleudern, Bäume zu fällen
oder Autos fernzusteuern in der Lage gewesen wären.
Auch die berittenen Soldaten, die
später das Spalier für die Wissenschaftler bilden sollten, und insbesondere
ihre Waffen überprüften die Polizisten eingehend, um die Gefahr auszuschließen,
die Waffen könnten manipuliert worden sein. Doch die Überprüfung brachte nicht
eine einzige Patrone zutage.
Die Zeit schritt erbarmungslos
voran, und am Ende standen als einzige Ergebnisse der gesamten Überlegungen, Untersuchungen
und Ermittlungen eine etwas an den Haaren herbeigezogen wirkende Idee von
Holger und ein Plan, wie man Somniak vielleicht doch noch dazu bringen konnte,
sich zu verraten.
Der Plan war simpel und glich
mehr einem Strohhalm, nach dem man griff, denn einer wirklichen Hoffnung. Holger
würde sich die Live-Übertragung der Zeremonie gemeinsam mit Somniak ansehen und
womöglich an irgendeiner Stelle eine Reaktion des Killers wahrnehmen. Für den
Fall, dass Holgers an den Haaren herbeigezogene Theorie nicht zutraf, war dies
Debbies einzige Chance.
Chance! Welch ein Euphemismus. Es
half alles nichts. Sie musste sich auf den Weg machen.
Sie umarmte Holger, drückte ihn
lange und innig an sich, dann stieg sie ins Fond des Streifenwagens, der sie nach
Petersdamm bringen würde.
Ihre vielleicht letzte Reise.
129.
Jo Somniak konnte sein Glück kaum
fassen, als er sah, was ihn im Verhörraum erwartete. Auf einem Stuhl an der
rückwärtigen Wand saß der Pfarrer, doch er war es nicht, der den Mörder so
euphorisierte.
Ein Fernseher war in den Raum
gebracht worden und stand auf dem kleinen quadratischen Tisch, den man zu
diesem Zweck an die dem Pfarrer gegenüberliegende Wand geschoben hatte. Somniak
wusste augenblicklich, was das zu bedeuten hatte. Petersen wollte die Zeremonie
mit ihm gemeinsam verfolgen in der Hoffnung, ein unbeabsichtigtes, vom
Unterbewusstsein ausgelöstes Zeichen von ihm aufschnappen zu können. Er würde
ihm keines geben.
Dafür aber würde er Ashcrofts Tod
und die Vervollkommnung seiner inszenierten Apokalypse live verfolgen können.
Welch eine Aussicht.
Der hünenhafte Polizist, der
schon bei sämtlichen Verhören zugegen gewesen war, setzte ihn auf einen zweiten
Stuhl unweit dessen des Pfarrers und baute sich daraufhin wie immer auf seinem
Posten bei der Tür auf.
Das Fernsehgerät war bereits
eingeschaltet und die Zeremonie würde jede Sekunde beginnen.
„Ich gelangte zu der Überzeugung,
sie würden sich ihren Mord vielleicht gerne ansehen wollen”, begrüßte der
Pfarrer ihn. „Nachdem Sie so viel Kreativität in die Entwicklung gesteckt
haben.”
„Es ist kein Mord, es ist der
Wille Gottes”, erwiderte Somniak. Eines Tages würde der Pfarrer das begreifen,
dessen war er sich sicher.
„Wie Sie meinen.”
Auf dem Bildschirm war nun zu
sehen, wie der erste Wissenschaftler auf einem roten Teppich durch ein Spalier
berittener Soldaten auf die Kanzlerin zu schritt, die, gewandet in einen ihrer
berühmten tiefblauen Hosenanzüge, vor der Lobby des Hotels auf ihn wartete. Sie
schüttelte ihm die Hand, wechselte ein paar Worte mit ihm, schüttelte ihm
erneut die Hand und entließ ihn mit einem Lächeln und einer Geste ihres
ausgestreckten linken Arms.
Die Anspannung wurde nahezu
unerträglich. Wann war Ashcroft dran? Er durfte sich nur nichts anmerken
lassen.
–––––
Holger versuchte Souveränität
auszustrahlen, dem Killer das Gefühl zu geben, ihm überlegen zu sein, von
seinem Plan zu wissen, doch in seinen Handflächen bildeten sich Schweißlachen
immensen Ausmaßes.
Wenn seine seltsame Theorie sich
als falsch herausstellte, dann war Somniak ihre einzige Chance. Und darin, ihn
nervös zu machen, sah Holger die beste Möglichkeit, womöglich eine Reaktion aus
ihm heraus zu kitzeln. Doch wie machte man jemanden nervös, wenn man selbst ein
nervliches Wrack war – noch dazu eines mit einem Kopf, der sich anfühlte, als
wolle er jeden Moment zerbersten.
Er fühlte sein Herz gewaltig
gegen seinen Brustkorb schlagen und fragte sich, ob sein mächtiger Puls durch
sein T-Shirt hindurch sichtbar war.
Warum nur hatte Debbie unbedingt
an der Zeremonie teilnehmen wollen? Dann hätte es eben jemand anderen
getroffen. Keine
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