Virus (German Edition)
sich ihr
noch nie so nahe gefühlt. Auf der anderen Seite konnte er nicht glauben, dass
er seit anderthalb Jahren mit ihr zusammen war und all das nicht gewusst hatte.
War er ein so schlechter Zuhörer? In Zukunft würde er ihr mehr Aufmerksamkeit
widmen. Nie zuvor hatte er so eine tiefe Liebe für sie empfunden.
Später waren sie dann
ins Zelt gegangen und hatten versucht, sich zu lieben, doch Passes Rippen
hatten viel zu stark geschmerzt. Sie hatten verschiedene Positionen ausprobiert,
aber keine gefunden, in der die Schmerzen irgendwie erträglich waren.
Doch es war auch
nicht wichtig gewesen. Dieser Abend hatte sie näher zusammen gebracht, als sie
es je zuvor gewesen waren. Ob sie die neue Sphäre, in die sie ihre Liebe
gehoben hatten, nun mit Sex betraten oder ohne, war letztendlich egal gewesen.
Doch dann war Dora
eingeschlafen und Passe nicht. Und langsam waren die Gedanken des Nachmittags zurückgekehrt.
Er hatte viel von Dora erfahren, aber nicht das, was er hatte erfahren wollen.
Hatte sie ein Geheimnis vor ihm? War sie vielleicht nicht die, die sie vorgab
zu sein?
–––––
Debbie lag mit
offenen Augen auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Unzählige Gedanken
hielten sie vom Schlafen ab. Immer wieder liefen die Bilder vom grässlichen Tod
des Professors vor ihrem inneren Auge ab. Sie hatte viel zu viele Fragen und
viel zu wenig Antworten.
Das erneute Telefonat
mit Bobby, nachdem sie in ihr Hotel zurückgekehrt war, hatte sie leider nicht
das erhoffte Stück weiter gebracht. Alles, was er bislang hatte herausfinden
können, war, dass Professor Meng Hong nie über Virusmeningitis geforscht hatte.
Enttäuscht hatte sie das Gespräch relativ schnell beendet.
War es vielleicht
sogar möglich, dass jemand wirklich den Professor hatte töten wollen und die
ganze Show nur veranstaltet hatte, um davon abzulenken? Es hatte wie eine
Inszenierung gewirkt. Als sei der Professor nur zufällig die ideale Besetzung
für diese Szene gewesen. Was aber, wenn jemand genau das suggerieren wollte, um
davon abzulenken, dass es sich in Wirklichkeit um einen gezielten Anschlag auf
die Person des Professors gehandelt hatte? Ein Doppelbluff. Auf diese Weise
würde man die Mordermittlungen vom unmittelbaren Umfeld des Opfers fernhalten.
Oder dachte sie schon wieder viel zu kompliziert?
War es vielleicht
sogar möglich, dass übernatürliche Kräfte eine Rolle spielten? Hatte Gott den
Blitz geschickt und den Brand gelenkt? Sie musste an Holger denken, dieses
zynische Arschloch. Wie hatte sie nur Vertrauen zu ihm fassen können, wenn auch
nur für kurz?
All das schoss ihr
durch den Kopf – und immer wieder die schrecklichen Bilder des Nachmittags. Sie
drehte sich auf die Seite, doch ihre Hoffnung, einschlafen zu können, sank
gegen Null.
–––––
Wegmann konnte nicht
schlafen. Zu viele Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. Zum Glück
hatte er noch einen Rechtsmediziner finden können, der sich mit ein wenig
Überredung dazu bereit erklärt hatte, die Leiche des Professors zu obduzieren.
Wenn man das überhaupt noch Leiche nennen konnte, dieses verkohlte Etwas.
Als er mit dem Rechtsmediziner
gesprochen hatte, hatte er wieder seine Macht gespürt, die er so liebte.
Diesmal hatte er nicht so lange versucht, vernünftig mit dem Mann zu sprechen,
wie er es bei dem Notarzt getan hatte. Diesmal war er schnell zum Klartext
gewechselt. Er hatte das gebraucht, nachdem Bruncke ihn so rundgemacht hatte.
Für die Autopsie war
also Sorge getragen. Doch das war es auch nicht, was Wegmann vom Schlafen
abhielt. Andere Fragen quälten ihn. Was wusste das BKA über ihn? Wollte man ihn
ausbooten? Wollten sie ihn zu Fehlern zwingen, um ihn dann abzusägen? Wie viel
wussten sie über seine Arbeitsmethoden? War aufgefallen, dass er vor dem Gipfel
viel Arbeit einfach unter den Tisch gekehrt hatte? Konnten sie wirklich an
seine Rente? Was bedeutete der Terminus ‚Beamter auf Lebenszeit’ heute noch?
Würde er sein Haus verkaufen müssen?
Es war so
offensichtlich, dass es kein Mord gewesen sein konnte. Selbst wenn jemand den
Blitzableiter manipuliert hätte – wie hätte jemand wissen können, dass ein
Blitz in das Haus einschlagen würde? War vielleicht eine höhere Macht dafür
verantwortlich?
Wegmann hatte stets
versucht, nicht an Gott zu glauben. Er war religiös erzogen worden, doch ein
Leugnen der Existenz des Allmächtigen war der einzige Weg, sein Handeln mit
seinem Gewissen zu vereinbaren. Würde er sich
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