Virus (German Edition)
nicht ständig selbst suggerieren,
es gebe keinen Gott, so würde die Angst vor dem Jüngsten Gericht sein Leben
auffressen.
Aber andere Ängste
waren es, die in diesem Moment seinen Schlaf auffraßen. Existenzängste. Er
dachte nicht einmal mehr daran, wie viele Überstunden er in den nächsten Tagen
würde machen müssen. Solange er nur aus dieser Scheiße rauskam, war ihm alles
andere egal. Konnte man ihm wirklich seine Rente streitig machen?
–––––
Hagen konnte nicht
schlafen. Zu viele Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. Morgen
würde sein großer Tag werden – der erste von vielen großen Tagen.
Seit er erfahren
hatte, dass der G8-Gipfel in Petersdamm ausgetragen werden würde, hatte er an
seinem Plan gearbeitet und ihn sukzessive perfektioniert.
Hagen lag wach und stellte
sich die nächsten Tage vor. Sein Herz schlug schnell – weitaus zu schnell, um
einzuschlafen. Er würde am nächsten Morgen früh aufstehen müssen, denn es gab
viel zu tun. Wenn alles glatt lief, würde er nicht nur morgen, sondern in den
nächsten Tagen sehr viel zu tun haben. Zwar waren es gute Gedanken, die ihn vom
Schlafen abhielten, doch er musste sich erholen.
–––––
Jo Somniak konnte
nicht schlafen. Zu viele Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. Es
war ein erfolgreicher Tag gewesen. Natürlich war der Tod des Professors grausam
gewesen, doch dafür hatte er jetzt keinen Gedanken übrig.
Am nächsten Morgen
würde sein Artikel neben seinem Foto in der BILD erscheinen. Der erste Schritt
zu seinem Ruhm war gemacht. Er würde festgenommen werden, weil man ihm verboten
hatte, Fotos zu veröffentlichen. Die Gewerkschaft für Druck, Journalismus und
Papier, der Deutsche Journalisten Verband und andere Organisationen würden auf
die Barrikaden gehen und die Pressefreiheit beschreien. Ein Gericht würde der
Journalistenlobby nachgeben und das Verbot für rechtswidrig erklären. Er würde
als Held freigelassen werden. Er würde Pressekonferenzen geben. Die Welt würde
Notiz von ihm nehmen. Von dem Mann, der den Tod des Professors veröffentlicht
hatte. Der erste Schritt war getan.
–––––
Holger schlief wie
ein Stein. Er hatte es mit Autosuggestion und Alkohol geschafft, seinen
schützenden Wall der Gleichgültigkeit mit dem Mörtel aus Selbstmitleid neu um
sich zu errichten. Nichts interessierte ihn mehr, alles war ihm egal.
Mittwoch, 9. Mai 2007
19.
Die digitale
Zeitanzeige in der rechten unteren Ecke des Bildschirms zeigte 2:03 Uhr und Thorsten
Aurich sehnte sich nach seiner Koje. Die meisten seiner Kameraden an Bord der
Marinefregatte schliefen um diese Zeit, die Wachmannschaft war auf das
Notwendige reduziert. Während die wenigen übrigen Mitglieder seines Teams an
Deck Wache schoben, saß er im Kontrollraum und überwachte Radar und Sonar. Er
war umgeben von unzähligen Monitoren und Anzeigen, doch wirklich auf sie achten
musste er nicht. Dafür gab es Computer, und die würden ihn warnen, wenn
irgendeine Auffälligkeit wahrgenommen wurde.
Gelangweilt blickte
Aurich auf die Bildschirme. Nichts. Natürlich nicht. Was sollte da auch sein?
Wer würde sich schon mit der schweren Bewaffnung der Marine anlegen? Und warum?
Nicht zu vergessen, dass auch zwei amerikanische Kriegsschiffe hier vor Anker
lagen. Diese waren nicht nur signifikant größer als die deutschen Fregatten mit
ihren hundertvierzig Metern, sondern auch mit weit höher entwickelten
Waffensystemen ausgestattet. Eigentlich machten sie die deutschen Schiffe völlig
überflüssig. Sie reichten zur kompletten Seeraumüberwachung aus, aber man
konnte natürlich den Amerikanern nicht die alleinige Überwachung in deutschen
Hoheitsgewässern überlassen. Das verbat schon die Ehre.
Er blickte auf den
Hauptmonitor direkt vor ihm. Das Sonar meldete einen Fischschwarm unter ihnen.
Vielleicht war es auch eine Robbe oder zwei. Nichts passierte hier und Aurich
war hundemüde.
Er hasste sein Leben.
Alles war gut gewesen, bis er zum Wehrdienst eingezogen worden war. Er war
damals in seiner Schreinerlehre richtig aufgegangen, der Job hatte ihm Spaß
gemacht. Seine Gesellenprüfung hatte er mit guten Noten bestanden und sein Chef
hatte ihm in Aussicht gestellt, ihn nach der Lehre zu übernehmen. Auch seine
Kollegen hatte er gemocht und war seinerseits beliebt gewesen in ihrem Kreis.
Mit dem
Gesellengehalt hätte er sich eine eigene Wohnung leisten und mit Julia zusammen
ziehen können. Sie beide hatten sich seit Langem
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