Virus (German Edition)
fast
erreicht, und sobald Wegmann weg war, würden die Reporter sich auf sie stürzen.
Sie würden wissen wollen, was sie über Sams Tod wusste, woher sie davon wusste,
wer sie war, wie sie den Tod Meng Hongs verkraftet habe, ob sie eine Affäre mit
ihm gehabt habe und ob man eine Exklusivstory über ihr Leiden schreiben dürfe.
Sie musste weg. Sie
verließ den Parkplatz in die entgegengesetzte Richtung von den Reportern, hielt
auf der Straße ein Taxi an und fuhr zurück zu ihrem Hotel. Dieser Gipfel würde
teurer werden als gedacht. Vielleicht hätte sie sich einen Leihwagen nehmen
sollen.
28.
Wegmanns Laune hatte
sich keinen Deut gebessert, als er mit Lars den Obduktionstrakt des
pathologischen Instituts der Medizinischen Fakultät der
Universität Rostock betrat. Das Institut für Rechtsmedizin in Rostock verfügte
leider über keine eigene Prosektur, so dass Obduktionen stets in der
medizinischen Fakultät durchgeführt werden mussten.
Auf der gesamten
Fahrt hatte Wegmann kein Wort gesprochen und nur fahrig auf seiner Unterlippe herum
gekaut. Was bildete sich diese Ashcroft eigentlich ein? Und woher wusste sie
von Dickinsons Tod? Jetzt jedenfalls hatte auch die Presse Kenntnis davon. Diese
Aasgeier würden Nachforschungen anstellen und binnen kürzester Zeit Gewissheit
haben. Als er am Morgen geahnt hatte, dass dies nicht sein Tag werden würde, da
hatte er dieses Ausmaß an Katastrophen nicht erwartet.
Eine weitere Leiche,
etliche Ungereimtheiten in diesem Zusammenhang, das Bild in der Zeitung, seine
beginnende Ausbootung, das Abarbeiten von Kleinigkeiten, zu dem man ihn
degradiert hatte, Ashcroft, die Presse – konnte es noch schlimmer kommen?
Er mochte die Räume
des pathologischen Instituts nicht und jeden anderen Tag hätte ihm ein Besuch
hier verderben können. Diesen nicht, denn dieser Tag war nicht mehr zu
verderben.
Durch seine Art,
seinem Job nachzugehen, nämlich im Prinzip bei allen Todesfällen schnell
herauszufinden, dass es sich nicht um Mord handelte, waren Besuche in der Rechtsmedizin
für ihn zum Glück recht selten. Er vermied sie, wann immer er konnte. Die
kalten Kacheln, der stechende Geruch von Formaldehyd, der den Geruch von Tod
kaum zu übertünchen in der Lage war, die Sterilität, die Stille, diese Totenstille,
das Voraugenführen der Endlichkeit allen Seins – das alles verursachte stets
ein bedrückendes, beklemmendes Gefühl in ihm.
Eigentlich keine
wirklich guten Voraussetzungen für einen Kommissar der Mordkommission, aber er
hatte diese Abneigung bei seiner Bewerbung um die Stelle natürlich auch nicht
rumposaunt.
Er betrat mit Lars
die Prosektur, den Bereich des Instituts, in dem die eigentlichen Obduktionen
durchgeführt wurden. Auf einem der beiden Sektionstische lag die aufgeschwemmte
und immer noch nackte Leiche von Professor Dickinson, dahinter stand Dr.
Tremmel leicht vornübergebeugt, und begutachtete die Haut des Opfers durch ein
Vergrößerungsglas.
Das Erste, was Wegmann
sah, war, dass die Leiche nicht den für Obduktionen üblichen Y-Schnitt aufwies.
Die eigentliche Autopsie hatte also noch nicht einmal begonnen. Was sollte er hier?
Was konnte so wichtig sein? Nichts. Es war eine Kleinigkeit, ein Detail, und
Herforth hatte ganz genau gewusst, warum sie ihn hierher geschickt hatte,
anstatt selber vorbeizuschauen.
Als Dr. Tremmel die
beiden Polizisten sah, legte er die Lupe beiseite, trat ihnen entgegen und bot
ihnen die Hand. Wegmann, sowieso gereizt, verspürte nicht die geringste Lust,
die Hand zu schütteln, die soeben noch die Leiche angefasst hatte, und
ignorierte sie. Lars hatte entweder eine höhere Ekelgrenze oder mehr Höflichkeit,
denn er schüttelte Dr. Tremmels Hand.
„Also, bringen wir es
hinter uns”, sagte Wegmann gereizt. „Was bitteschön ist so wichtig, dass Sie
nicht bis zum Ende Ihrer Untersuchung warten konnten, es uns mitzuteilen?”
„Nun, es ist ein
durchaus bemerkenswertes Detail, bei dem ich davon ausgehe, dass es ihre
Ermittlungen sehr unterstützen kann”, erwiderte Dr. Tremmel. Er hielt inne und
machte keine Anstalten, ohne Aufforderung weiter zu reden. Offenbar genoss er
es, ein wenig Spannung aufzubauen.
„Wird es Ihnen den
Nobelpreis einbringen?” fragte Wegmann. Es war ihm nicht danach, Tremmel den
Gefallen zu tun, ihn um die Information zu bitten.
„Nein”, antwortete
dieser irritiert. Ein kurzes Schweigen folgte. Lars war es schließlich, dem das
Spielchen der beiden zu viel wurde.
„Also, was genau
haben
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