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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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mit Sicherheit nicht
aufmerksamkeitsschwach oder medienunwirksam.”
    „Ich habe da nämlich
eine Theorie”, begann Debbie vorsichtig. Sie war sich unsicher und hatte ein
wenig Sorge, sich mit ihrer Theorie zu blamieren. Aber für sich behalten wollte
sie sie auch nicht. Was, wenn sie gut war? „Weltweite Epidemien wie die
SARS-Epidemie von 2003, über die beide Opfer geforscht haben, entstehen ja
quasi durch Globalisierung. Durch das Zusammenwachsen der Welt, durch ein immer
dichter werdendes Netz an Verkehrsflügen. Auf diese Weise tragen Menschen die
Viren um den ganzen Erdball. Und wenn sie ganz besonders effektiv darin sind,
die Viren weiterzugeben, dann entstehen sogar weitab vom Ursprungsort des Virus
lokale Infektionsketten. Glaubst du das könnte das Motiv des Mörders sein?
Glaubst du, er demonstriert mit seinen Morden gegen das Zusammenwachsen der
Welt?”
    Holger antwortete
nicht sogleich, sondern wirkte nachdenklich. Völlig blamiert schien sie sich
mit ihrer Theorie also nicht zu haben.
    „Es gibt Menschen,
die effektiver darin sind, Viren weiterzugeben, als andere?” fragte er dann.
    „Supershedders und
Superspreaders. Sie stellen die größte Gefahr bei der Ausbreitung von Epidemien
dar”, antwortete Debbie. „Superspreaders haben einfach Kontakt zu weit überdurchschnittlich
vielen Menschen und somit viele potenzielle Abnehmer für den Virus.
Supershedders hingegen haben eine beeindruckend hohe Übertragungsquote. Wir
wissen noch nicht recht, warum, aber diese Leute übertragen den Virus einfach
effektiver, sprich bei gleicher Kontaktzahl an mehr Menschen.”
    „Hm”, machte Holger. „Feuchte
Aussprache vielleicht?“
    „Ohne Supershedder
und Superspreader wäre die Eindämmung von Epidemien kein Problem”, ergänzte
Debbie, seine Vermutung ignorierend, doch Holger war schon bei seiner nächsten
Frage.
    „Und unter einer
lokalen Infektionskette verstehst du exakt was? Ich meine, gab es die nicht in
allen Ländern, die SARS-Fälle hatten?” fragte er.
    „Nein, gab es nicht”,
antwortete Debbie. „Sogar nur in sehr wenigen Ländern. Die Mehrzahl der Länder,
die 2003 SARS-Fälle verzeichneten, hatte keine lokale Infektionskette. In
diesen Ländern haben sich alle Erkrankten im Ausland angesteckt. Wenn ich mich
im Ausland anstecke, nach Deutschland komme, hier behandelt werde und niemanden
anstecke, dann hat Deutschland einen SARS-Fall, aber keine lokale Infektion.”
    „Verstehe”, sagte
Holger.
    „Selbst fünfzig
SARS-Fälle in einem Land müssen nicht notgedrungen eine eigene Infektionskette
bedeuten”, fuhr Debbie fort. Sie war jetzt in ihrem Element. „Wenn aber in
Deutschland, nachdem ich den Virus mitgebracht habe, plötzlich Leute erkranken,
die mit mir Kontakt hatten und nicht im Ausland waren, dann können wir sicher
sein, eine lokale Infektionskette zu haben.”
    „Ausgeschlossen”,
erwiderte Holger.
    „Was?” fragte Debbie
irritiert und blickte ihn an.
    „Ich denke, wir
können es als relativ ausgeschlossen betrachten, dass es Leute gibt, die mit
dir freiwillig Kontakt haben.”
    Sie starrte ihn
ungläubig an. Hatte sie sich schon wieder in ihm getäuscht?
    Doch dann erwiderte er
ihren Blick und ein kaum merkliches, leichtes Lächeln huschte über sein
Gesicht. Vielleicht war es sogar nur ein Blitzen in seinen Augen, sie wusste es
nicht, doch sie lächelte zurück, erleichtert, dass es nur ein Scherz gewesen
war, und stieß ihn leicht mit dem Ellbogen an.
    „Also – was meinst du
nun über meine Theorie?” fragte sie ihn, das eigentliche Thema wieder
aufgreifend.
    „Sie funktioniert
leider nicht”, erwiderte er.
    „Wieso nicht?”
    „Globalisierung
bezeichnet als Begriff im Allgemeinen zwar das Zusammenwachsen der Welt durch
größer werdende Flugverkehrsnetze, schnellere Datenübertragung oder das
Internet. Aber das ist es nicht, wogegen Globalisierungsgegner sich auflehnen”,
antwortete er. „Globalisierungsgegner demonstrieren hauptsächlich gegen den
Neoliberalismus und das Ausbeuten der armen Staaten durch die reichen. Wenn du
so willst, demonstrieren sie gegen die wirtschaftliche Globalisierung und nicht
gegen die soziale.”
    „Stimmt”, wandte
Debbie nachdenklich ein. „Daran habe ich nicht gedacht. God damn it, stupid. ”
    Sie erreichten die
ersten Häuser des Dorfkerns und Debbie spürte erneut ihren Hunger. Es war
frustrierend, wie eine Theorie nach der anderen kippte.
    „Vielleicht ist die
Theorie aber zumindest zum Teil brauchbar”,

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