Virus (German Edition)
Sekunde auf die
andere die Kaskaden von Verwünschungen. Jubel? Was war los? Er blickte sich um
und sah schwarze Rauchfahnen in der Richtung gen Himmel steigen, in der er sein
Dienstfahrzeug geparkt hatte. Die Autonomen bildeten eine Gasse, öffneten ihm
das Sichtfeld, offenbar durchaus gewillt, wenn nicht sogar darauf erpicht, ihm
diesen Anblick zu gönnen.
Noch einen winzigen
Augenblick lang hielt er die Hoffnung aufrecht, die Herkunft des Rauches sei
eine andere, dann erstarb sie. Sein Wagen brannte lichterloh. Wegmann war für
einen winzigen Moment abgelenkt, nicht auf der Höhe des Geschehens, von Fassungslosigkeit
paralysiert. Der Moment war winzig kurz und doch zu lang. Einer der Autonomen
trat ihm die Waffe aus der Hand, ein Tritt in seine Magengrube folgte aus der
gleichen, geschmeidigen Bewegung heraus und ließ alle Luft aus seinen Lungen
entweichen.
Unwillkürlich sackte
er in sich zusammen, hielt sich den Bauch, rang nach Luft. Er hörte Lars
brüllen, die Autonomen sollten fernbleiben, und er konnte Angst in seiner
Stimme hören. Lars musste ebenfalls seine Waffe gezogen haben – nur so war zu
erklären, dass die Zecken ihn nicht lynchten. Dann hörte er Lars Verstärkung
anfordern.
Die Meute rückte
näher und näher. Wegmann hörte ihre Beschimpfungen, ihre Erniedrigungen, ihr
Lachen. Das brennende Fahrzeug hatte etwas in ihnen ausgelöst, hatte wie eine Droge
auf sie gewirkt.
Lange würde Lars
alleine sie nicht mehr zurückhalten können. Dieser ging nun, da er jedem
verständlich gemacht hatte, dass er eine Waffe hatte, wieder dazu über, an die
Vernunft der Demonstranten zu appellieren. Doch diese schien Wegmann mit seinem
Ausbruch endgültig zerstört zu haben. Niemand aus den Reihen der
Globalisierungsgegner versuchte mehr, die aufgebrachten Sinnesgenossen zu
beruhigen. Zum ersten Mal heute waren sie alle einer Meinung. Wegmann hatte sie
mit seiner nahezu neurotischen Aggression geeint. Es war seltsam, mit welcher
Klarheit er in dieser ausweglosen Situation seinen schrecklichen Fehler
erkannte.
Er hatte die Stimmen
der Vernunft in den Reihen der Autonomen zum Verstummen gebracht, während das
Brennen seines Wagens als Stimulans auf sie wirkte. Eine fatale Kombination.
Und dann hörte er zum
zweiten Mal einen signifikanten Stimmungsumschwung unter den Autonomen. Der
Grund aber war ein anderer, der Grund war diesmal ein guter. Die Verstärkung
war eingetroffen, und sofort brandete ein erbitterter Kampf zwischen den
Demonstranten und den erneut in voller Kampfmontur angerückten Polizisten auf.
Wegmann spürte Lars’
Griff unter seiner Achsel, dann riss dieser ihn hoch und zerrte ihn weg, weit
hinter die Linien der Polizisten, in Sicherheit.
Dabei schoss Wegmann
immer wieder der Gedanke durch den Kopf, mit dem alles angefangen hatte, der
letzte Gedanke, bevor er ausgerastet war. Wieso hatten die Demonstranten keinen
Blitz beobachtet?
Ihm fiel wieder die
Aussage von Brandursachenermittler Löscher ein, es habe kein Blitz in das
Gebäude eingeschlagen. Untermalt wurden diese Gedanken ständig von dem Bild in
der Zeitung, das sich auf Wegmanns Netzhaut festgebrannt zu haben schien und
allgegenwärtig war.
Es war unmöglich.
Einfach nicht erklärbar. In diesem Moment, adrenalingeschwängert und von Chaos
umgeben, hatte Wegmann plötzlich eine Erleuchtung. Von einem Augenblick auf den
anderen sah er klar, und er war sich totsicher, es bei den Todesfällen mit paranormalen
Phänomenen zu tun zu haben. Es war nicht mehr einfach eine Vermutung.
Vielleicht hatte er durch das Adrenalin eine andere, eine höhere Wahrnehmungsebene
erreicht, vielleicht hatte ein übernatürliches Medium sich ihm mitgeteilt, das
konnte er nicht sagen. Aber fest stand, dass es sich von diesem Moment an bei
ihm nicht mehr einfach um eine Theorie handelte, sondern um Wissen.
–––––
Der Kampf übertraf
den des Vortags schnell an Härte und Intensität. Erneut flogen Steine, diesmal
allerdings verstärkt auch Molotow-Cocktails, die einige der Demonstranten aus
ihren Zelten holten. Erschrocken wichen die Polizisten zurück, von einem
Molotow-Cocktail getroffen zu werden war lebensgefährlich. Gegen Steine konnten
sie sich unter ihren Schutzschilden verbergen, doch gegen Molotows waren sie
nicht geschützt.
Die ersten
Kamerateams trafen ein und kurz darauf ein Wasserwerfer. Dieser rückte
unerbittlich gegen die Demonstranten vor und drängte sie zurück in ihre
Zeltstadt. Mit dem voll gepanzerten und gegen
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