Virus
erwachsenen Menschen müßte es doch möglich sein, die Dinge vernünftig ins Lot zu bringen.
In einer Bäckerei ihres Wohnviertels kaufte sie noch zwei Cremeschnitten für den Nachtisch. Dann stieß sie rückwärts in ihre Einfahrt hinein und fuhr den Wagen nahe an die Küchentür heran, um ihre Einkäufe nicht weit tragen zu müssen. Sie war stolz darauf, daß sie es vor Tad geschaffthatte. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber es war so dunkel, als ob sie schon weg wäre. Marissa mußte mit ihren Schlüsseln herumfummeln, ehe sie den richtigen ins Schloß bekam. Mit dem Ellbogen knipste sie das Küchenlicht an, bevor sie ihre beiden Einkaufstüten auf den Küchentisch stellte. Als sie die Alarmanlage ausschaltete, wunderte sie sich, daß Taffy nicht herbeigestürzt kam, um sie zu begrüßen. Sie rief nach dem Hund und fragte sich, ob ihn wohl die Judsons aus irgendeinem Grund hinübergeholt hätten. Sie rief erneut, doch im Haus blieb es unnatürlich still.
Sie ging den kurzen Gang zum Wohnzimmer hinunter und schaltete dort die Lampe neben der Couch ein. »Ta-a-a-affy« rief sie langgedehnt. Sie wollte die Treppe hinaufgehen, weil sie dachte, daß der Hund sich vielleicht versehentlich in einem der Schlafzimmer oben eingesperrt hätte, wie das schon gelegentlich vorgekommen war – da sah sie, daß er still in der Nähe des Fensters lag und sein Kopf in einem seltsamen und erschreckenden Winkel nach hinten gebogen war.
»Taffy!« rief Marissa verzweifelt, rannte auf den Hund zu und fiel auf ihre Knie. Aber bevor sie noch das Tier berühren konnte, wurde sie von jemandem gepackt, und ihr Kopf wurde mit solch jäher Gewalt nach hinten gerissen, daß der Raum sich um sie drehte. Ganz instinktiv griff sie nach oben und erwischte einen Arm, der sich wie Holz unter dem Anzugstoff anfühlte. Selbst mit aller Anstrengung aber gelang es ihr nicht, den Griff des Mannes um ihren Hals zu lockern. Es gab ein reißendes Geräusch, als ihr Kleid entzweiging. Sie versuchte sich herumzuwerfen, um ihren Angreifer zu erkennen, aber sie schaffte es nicht.
Der Notauslösschalter für das Alarmsystem befand sich in ihrer Jackentasche. Es gelang ihr, in die Tasche zu greifen und ihn in die Finger zu bekommen, und sie versuchte verzweifelt, den Knopf herunterzudrücken. Gerade war es ihr gelungen, da erhielt sie einen Schlag auf den Kopf undfiel der Länge nach zu Boden. Sie hörte den durchdringenden Lärm und versuchte vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. Dann hörte sie Tads Stimme, die dem Eindringling etwas zubrüllte. Sie wälzte sich benommen herum und sah, wie er mit einem großen, breit gebauten Mann kämpfte.
Marissa hielt sich als Schutz vor dem ununterbrochenen Kreischen des Alarmsystems die Ohren zu, rannte zur Vordertür und riß sie auf, um von dort aus die Judsons zu Hilfe zu rufen. Sie rannte über den Rasen vor dem Haus und durch die Hecke, die die beiden Grundstücke voneinander trennte. Als sie auf das Haus der Judsons zulief, sah sie, wie ihr Nachbar die Tür öffnete. Sie schrie ihm zu, er solle die Polizei rufen, hielt sich aber nicht mit weiteren Erklärungen auf, sondern machte auf dem Absatz kehrt und lief in ihr Haus zurück. Der Lärm der Alarmanlage schallte von den Bäumen zurück, die die Straße säumten. Marissa sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe vor dem Haupteingang hinauf und rannte wieder ins Wohnzimmer zurück, aber sie fand es leer. Voller Panik lief sie den kleinen Gang zur Küche hinunter. Die Hintertür stand einen Spalt breit offen. Marissa langte zum Schaltbrett hinüber und stellte erst einmal die Alarmanlage ab.
»Tad«, schrie sie dann, kehrte ins Wohnzimmer zurück und lief anschließend in das Gästezimmer im ersten Stock; aber nirgends fand sie eine Spur von ihm.
Mr. Judson kam durch die offene Vordertür gerannt, einen Feuerhaken schwingend. Gemeinsam warfen sie einen Blick in die Küche und traten dann durch die Hintertür.
»Meine Frau hat schon die Polizei gerufen«, versicherte Mr. Judson.
»Es war ein Freund von mir da«, keuchte Marissa, und ihre Angst wuchs noch. »Ich weiß nicht, wo er steckt.«
»Hier kommt jemand«, sagte Mr. Judson mit einer hinweisenden Handbewegung.
Marissa sah, wie sich eine Gestalt durch die immergrünenBäume hindurch näherte. Es war Tad. Erleichtert rannte sie auf ihn zu, warf ihm die Arme um den Hals und fragte ihn, was denn eigentlich geschehen sei.
»Leider hat er mich niedergeschlagen«, berichtete er und
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