Visby: Roman (German Edition)
gesagt, ihre Eltern hätten sie in eine Klinik gebracht!«
»Ach Gott. Das hat er geglaubt? Es stimmt, das haben ihre Eltern damals verbreiten lassen – nur keinen Skandal, das war immer ihr Motto. Aber dass er wirklich gedacht hat … Nein, sie ist tot, Dhanavati. Sie hat das Heroin gefunden, das deine Mutter in unserem Zimmer versteckt hatte. Das war an dem Tag, bevor die Polizei kam. Sie hat etwas davon abgezweigt und mit nach Visby genommen. An dem Abend habe ich wie üblich meinen Meditationskurs abgehalten, in einem Haus dort am Stadtrand. Indrasena hat mich begleitet. Vor dem Kurs habe ich ihr oben im Wohnzimmer ihre übliche Dosis gegeben – und während ich dann unten mit den Gotländer Hausfrauen zusammensaß, hat sie sich noch eine Spritze gesetzt. Als ich zwei Stunden später nach oben kam, war sie tot.«
Ihre Mutter, wie sie davonlief. Lief und von den Klippen sprang. Weil sie am Tod von Indrasena schuld war.
Der Frau, die Bengt liebte.
Den sie liebte.
Den sie ins Gefängnis gebracht hatte.
»Nun schau nicht so bekümmert. Es ist nicht deine Schuld.«
»Natürlich nicht.«
»Ich werfe ihr das längst nicht mehr vor. Du solltest es auch nicht tun.«
Der großmütige Bengt. Aber man musste nur seiner Stimme lauschen, der Art, wie er Indrasenas Namen aussprach, um zu wissen, dass es nicht stimmte. Er hatte ihnen nicht verziehen. Nandin nicht, und auch nicht ihrer Mutter. Sicher war er vernünftig genug, sich nicht stattdessen an der Tochter zu rächen. Aber sich darüber freuen, dass er diese Tochter selbst gezeugt hatte? Da erwartest du denn doch ein bisschen viel, kleine Dhani.
Sie sah an ihm vorbei nach Osten. Die Sonne war längst aufgegangen. Sie hatte es nicht bemerkt. »Wolltest du mich nicht in die Stadt bringen?«
»Richtig.« Doch er rührte sich nicht. Er schien auf irgendetwas zu warten.
»Ich habe einen Flug für dich gebucht«, sagte er schließlich. »Riga – Kopenhagen – Århus. Heute Nachmittag bist du zu Hause.«
»Nett von dir.«
Er wartete noch einen Moment. Dann wandte er sich ab und setzte sich ans Steuer.
Klarer Himmel bis zum Horizont; das Wasser so still, dass es nicht funkelte, nur im Rhythmus der Wellenfronten liefen Farbwechsel hindurch, von silbrigem Glanz zu hellem Blau. Weit draußen zog eine Fähre vorbei. Irgendwo dort lag Gotland. Visby. Das Waldhaus, in dem sie viereinhalb Jahre gelebt hatte und an das sie sich kaum erinnerte. Wo er den Guru gespielt hatte und ihre Mutter die Vertraute, die alles verstand. Bis sie ihn und seine Liebste und ihren eigenen Liebsten und alle anderen im Waldhaus verraten hatte.
Sie und Nandin.
Falls er nicht log.
Warum sollte er lügen?
Die Yacht bog nach Süden ab und hielt auf eine breite Flussmündung zu. Zwei Molen, die weit ins Meer hinausreichten, dann flache Ufer, sandig, bewaldet. Nebenarme und Hafenbecken. Kohlehalden. Öltanks. Kräne, Containerplätze, Schiffe. Sie trat neben das Steuer. Er blickte sich nicht um. Turmdächer blitzten im Sonnenlicht. Eine Brücke kam näher, von winzigen Autos befahren. Frachtkähne und Sportboote zogen vorbei. Der Dicke stand am Bug und schaute nach vorn.
Kurz vor der Brücke bogen sie links in ein Hafenbecken. Sportboote lagen an schwimmenden Holzstegen. Er verlangsamte die Fahrt, zog eine enge Kurve, bis der Bug wieder zur Ausfahrt zeigte, und steuerte die Landzunge an, die das Hafenbecken vom Hauptstrom trennte. Der Dicke bückte sich nach einem Tau.
»Wenn deine Kontakte zum BND so gut sind«, sagte sie, »was wollten dann diese Männer von mir? Sind sie doch nicht vom BND ?«
Er drehte sich zu ihr herum, langsam, vielleicht um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Sagen wir: Sie arbeiten nicht nur für den BND .«
Wieder schien er auf etwas zu warten. Als sie schwieg, sagte er: »Vermutlich werden sie dich in Ruhe lassen. Aber sicherheitshalber solltest du jedem, wirklich jedem erzählen, dass ich dich nur ausgelacht habe. Weil es mir völlig egal ist, ob ich eine Tochter habe.«
»Ja klar. Was auch sonst.«
»Zu deiner eigenen Sicherheit.«
»Ja klar.«
»Um alles andere kümmere ich mich. Also mach dir keine Gedanken.« Er deutete mit dem Kopf zum Ufer. »Ich habe dir ein Taxi gerufen. Es wartet da drüben. Brauchst du Geld?«
Nicht von dir, dachte sie. Niemals von dir.
Er las es ihr am Gesicht ab. Ganz flüchtig merkte man ihm Ärger an. Dann hob er die Schultern. »Guten Flug.«
ANNIKA
An Donnerstagnachmittagen spielt in Ljugarn niemand Golf, nicht Anfang
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